piwik no script img

kommentar von Benno SchirrmeisterDemokratie heißt Fluktuation

Dass Avni Altiner den Vertrag nicht zu Ende bringen darf, ist für ihn persönlich hart

Hätte das Land Niedersachsen vorgehabt, einen Vertrag mit Avni Altiner zu schließen, und Herr Altiner hätte sich plötzlich in Bilgen Recep verwandelt, dann wäre es angemessen gewesen, irritiert darauf zu reagieren. Auch öffentlich. Aber das wäre ja auch ein spinnertes Projekt gewesen.

Wenn aber die Landesregierung – und nur das scheint ja sinnvoll – mit der Schura, der Ditib und der alveitischen Gemeinde eine Vereinbarung schließen wollte, dann ist das öffentlich geäußerte Unbehagen über den Wechsel an der Spitze des Landesverbandes der Muslime in Niedersachsen entweder ein böser Versuch, sich aus dem Vorhaben rauszustehlen – oder ein peinlicher Missgriff.

Denn, wenn es Zweifel an der Form gäbe, also an der rechtmäßigen Wahl von Bilgen Recep zum Vorstandsvorsitzenden der Schura, dann müsste man sie offen äußern. Stattdessen wird aber scheinvertraulich etwas von „feindlicher Übernahme“ geraunt, was Quatsch ist: Die Satzung der Schura sieht alle zwei Jahre eine Neuwahl des Vorstandes vor. Der Tagesordnungspunkt stand ganz regulär auf der Einladung zur Vollversammlung. Und dass Altiner nun den Vertrag, der so etwas wie sein Lebenswerk gewesen ist, nicht unter Dach und Fach bringen darf, ist für ihn persönlich sicher hart. Aber Fluktuation gehört zur Demokratie: Winston Churchill hat den Vertrag von Potsdam auch nicht mehr unterschrieben.

Verbergen sich hingegen hinter den jetzt artikulierten Vorbehalten inhaltliche Bedenken gegen die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş, dann hätte man gar nicht erst die Verhandlungen aufnehmen dürfen: Denn die IGMG bildet schon lange die stärkste Fraktion in der niedersächsischen Schura. Dass sie damit einen Führungsanspruch verbindet, macht das allenfalls ein bisschen sichtbarer.

Aber so viel Inkompetenz kann der Landesregierung niemand zuschreiben, dass sie von diesen Mehrheitsverhältnissen erst durch die jetzige Personalie erfahren haben soll. Das hieße ja, dass sie wirklich geglaubt hätte, nur mit dem netten Herrn Altiner ein privates Abkommen zu schließen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen