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Die WahrheitRatgeber gegen Ratlosigkeit

Kolumne
von Eugen Egner

Manche Kollegen erlitten bereits langanhaltende Weinkrämpfe. Denn mit dem Erklärwerk zur Problemlösung ging es nicht voran.

berraschend verlangte die Regierung vom Amt für Grapheologie, ein Werk wider die allgemeine große Ratlosigkeit der Bevölkerung zu verfassen. Es sollte ein praktischer Ratgeber in allen ausweglosen Lebenslagen erstellt und preisgünstig in Umlauf gebracht werden. Das ging weit über die traditionellen Aufgaben des Amtes hinaus und stürzte dessen Belegschaft ihrerseits in Ratlosigkeit. Die Redaktion eines solchen Ratgebers setzte große Weltklugheit und Lebensweisheit voraus. Es mussten sämtliche Ratlosigkeit erzeugenden Probleme erfasst und mit probaten Lösungsvorschlägen versehen werden. Die mit der Durchführung Betrauten sahen sich einem schier unlösbaren Problem gegenüber.

In der Folge uferte das Projekt gewaltig aus. Überall wucherten Verweise, Fußnoten und Fortsetzungen. Schon der Haupttitel geriet so lang, dass er weiter hinten im Buch fortgesetzt werden musste. Mit dem Impressum ging es ebenso. Die Ausführlichkeit sowohl der Widmung als auch ihrer Begründung und das fünfzigseitige Register machten weitere Unterbrechungen, Einschübe und Anmerkungen unumgänglich. Nicht wenige Quer- und Mehrfachverweise waren darunter.

Ein halbes Jahr später wurde noch immer am Konzept des hochkomplizierten Umbruchs gefeilt. Zur Erarbeitung der Lösungsvorschläge war man indes noch nicht gekommen. Die Amtsleitung hatte neuerdings vorgeschlagen, ein Extrakapitel einzufügen, welches die Umstände schildern sollte, unter denen das Werk entstand.

Nach einem weiteren Vierteljahr begann der arbeitsbedingte Druck unerträglich zu werden. Die Regierung mahnte die Fertigstellung und das Erscheinen des Ratgebers an und drohte, den Laden auffliegen zu lassen, falls es noch länger dauern sollte. Gleichzeitig bestand die Amtsleitung auf einer konzeptionellen Änderung: Das Buch müsse so angelegt werden, dass es nicht nur unter dauerndem Hin- und Herblättern, sondern genauso gut auch linear gelesen werden könne. Darüber vergingen abermals schwere, entbehrungsreiche Wochen.

Das Arbeitsklima wurde allmählich unerträglich. Das verfluchte Projekt drohte alle umzubringen. Abermals musste der gesamte Umbruch geändert werden, neue Verweise und Fußnoten waren nötig geworden. Noch immer war kein einziger praktischer Ratschlag formuliert. Manche Kollegen erlitten bereits langanhaltende Weinkrämpfe. Schließlich wurde das Kapitel über die Entstehungsgeschichte des Ratgeberwerks wieder gestrichen, da niemand mehr daran erinnert werden wollte.

Und dann wurde auch noch das Gebäude, in dem das Amt untergebracht war, von Grund auf saniert. Wieder und wieder mussten die Mitarbeiter in höhergelegene Büroräume ausweichen. Es wurde zusehends schwieriger, funktionierende Stromanschlüsse und Toiletten zu finden. Bald war das Amt für Grapheologie unter dem Dach angelangt. Elektrischen Strom gab es keinen mehr, und die Belegschaft musste ihre Notdurft in die Regenrinnen verrichten.

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