Klassenerhalt geschafft und keiner hat‘s gemerkt

Minimalismus Ein Saisonfinale, bescheiden wie die Saison: Nur die Katastrophe konnte der HSV dieses Mal rechtzeitig abwenden

Von den Fans geliebt, vom HSV wohl weggespart: Torwart Jaroslav Drobný Foto: Axel Heimken/dpa

Beim Schlusspfiff waren die HSV-Fans verwirrt. Sollten sie ihre Mannschaft auspfeifen nach der „Leistung“ gegen den VfL Wolfsburg? Oder brauchte sie gerade jetzt noch mal Unterstützung im Abstiegskampf? Tuscheln ging durchs Volksparkstadion, bis endlich der Stadion­sprecher die Tabellensituation erklärte: Weil der 15. Frankfurt und der 16. Bremen am Samstag gegeneinander spielen und einander Punkte abnehmen werden, ist der HSV gerettet! Da entlud sich die Anspannung in einem zaghaften Jubel.

Dass die Fans das nicht gemerkt hatten, lag neben der komplexen Tabellensituation an der Stadionregie. Es wurden keine Zwischenstände eingeblendet, nur als der zumindest kämpferisch überlegene VfL Wolfsburg durch Luiz Gustavos Führungstreffer seinerseits rechnerisch den Klassenerhalt gesichert hatte, suchten die Hamburger einen Mutmacher: „VfB Stuttgart – Mainz 05 1:3“ stand auf der Anzeigetafel. Das bedeutete: Der HSV kann nicht mehr hinter die Schwaben zurückfallen und direkt absteigen.

Die Spieler stellten danach auch die Alibi-Angriffsbemühungen ein, als hätten sie sich damit abgefunden, das Relegations-Triple vollzumachen, also wie in den vergangenen beiden Jahren in K.o.-Spielen gegen den Zweitliga-Dritten nachzusitzen.

Doch nun kann der HSV drei Spiele früher als in den Vorjahren mit der Saisonplanung beginnen. Das ist ein Fortschritt, aber ein deutlich kleinerer, als man ihn sich erhofft hatte. Und er ist teuer erkauft: Der HSV hat wieder einmal Millionen Euro für Spieler ausgegeben, die ihn längst nicht alle weitergebracht haben. Schon machen Gerüchte die Runde, als Sündenbock müsse Sportchef Peter Knäbel seinen Hut nehmen, der seit seinem glücklosen Trainer-Einsatz und dem Verlust eines Rucksacks mit Spieler-Gehaltsdaten angeschlagen ist.

Wieder einmal kosteten die Neuen Geld, das der HSV nicht hatte. Kürzlich mussten die Stadionschulden umgeschichtet werden, um den Finanzkollaps abzuwenden. Der HSV ist wieder ein Stück abhängiger von den Launen des Investors Klaus-Michael Kühne geworden, der den Überbrückungskredit zur Verfügung stellte. Im kommenden Jahr wird wohl eine erneute Fan-Anleihe mit langer Laufzeit aufgelegt – sprich: Dieser Teil der Finanzprobleme wird weit ins nächste Jahrzehnt verlagert. Trotzdem bleibt der Handlungsspielraum eng. Die Kaderkosten müssen sinken, deswegen sollen offenbar Spieler wie der starke zweite Torwart Jaroslav Drobný gehen. Bei Neuverpflichtungen ist Fantasie gefragt statt Fantasie-Ablösesummen.

Da wird es, vor allem wenn Knäbel geht, auf Trainer Bruno Labbadia ankommen. Der hat die Mannschaft zwar defensiv stabilisiert. Aber den Makel, dass er furios startet und in der zweiten Saisonhälfte nachlässt, hat er auch in seiner zweiten Hamburger Amtszeit nicht abstreifen können. Vielleicht viel verlangt bei einem Club, der, wie HSV-Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer sagt, „ein sportlicher und finanzieller Sanierungsfall“ ist – und wohl auch bis auf Weiteres bleiben wird. Jan Kahlcke