Welthunger ohne Biss

Ausstellung In der Kunsthalle sind die Nominierten des Kunst-preises der Böttcherstraße zu sehen. Das lohnt mit Ausnahmen

Hantieren mit dem Unsichtbaren: Pauline M’bareks Hände Foto: Courtesy the Artist & Thomas Rehbein Gallery/Kunsthalle

von Radek Krolczyk

Die Böttcherstraße mit ihren nordisch-expressionistischen Backhausbauten ist in Bremen bekannt als eine etwas verschrobene, aber beliebte Kulisse für Touristen. In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg wurde ihr Bau vom Kaffeeunternehmer Ludwig Roselius, einem national gesinnten Esoteriker, finanziert. Nach der Böttcherstraße benannt und genau wie diese durch die HAG AG gestiftet wird der seit 1954 vergebene Kunstpreis. Da war Roselius selbst schon elf Jahre tot. Die Kunsthalle Bremen präsentiert nun in einer großzügig eingerichteten Ausstellung Arbeiten der zehn nominierten Künstlerinnen und Künstler dieses Jahres. Zu sehen sind Beiträge in Video, Fotografie oder räumlicher Installation und Skulptur.

Der alle zwei Jahre vergebene Preis soll heute zu den renommiertesten im deutschsprachigen Raum gehören, so die Selbsteinschätzung des Stifterkreises. Und das ist auch durchaus denkbar, schließlich befinden sich unter den Nominatoren so bedeutende Kunsthistoriker und Museumsleiter wie Hans-Ulrich Obrist von der Londoner Serpentine Gallery und Susanne Pfeffer vom Kasseler Fridericianum. Der Direktor der Bremer Kunsthalle und der Stifterkreis sind ständig vorschlagsberechtigt. Gewonnen haben ihn auch schon heute weltberühmte Künstler wie Ólafur Elíasson und Wolfgang Tillmans.

Mit 30.000 Euro gehört die Ehrung zudem zu den höchstdotierten Preisen Europas. Die vorgeschlagenen Künstlerinnen und Künstler haben gemeinsam, dass sie aus dem deutschsprachigen Raum kommen, keine Unbekannten, allerdings auch noch keine Stars der internationalen Kunstszene sind. Es liegt nahe, dass die Künstlerinnen und Künstler, die hier nominiert werden, eher jung sind.

Gut, wer wurde nominiert und was gibt es zu sehen? Zunächst kann man sagen, dass die meisten Arbeiten sehr sinnlich sind. Die Angst vor dem Bild ist hier kaum zu spüren. Ebenso wenig einfache Übersetzungen politischer Statements in ästhetische Formen.

Eine schlechte Ausnahme ist Emeka Ogboh. Im Mittelpunkt seiner Wandinstallation hängt ein Schriftzug aus Neonröhren: „FOOD IS R€ADY“. Ja, das hatte man schon mitbekommen: Der Welthunger hat mit der ungleichen Verteilung von finanziellen Mitteln zu tun. Dazu läuft eine seichte Musik, wie in einem Supermarkt, und wie zum Anpreisen von Waren hängen von der Decke Schilder. Darauf dann, als hätte man das mit dem Euro-Zeichen noch nicht verstanden, die Landesfarben der Staaten der Europäischen Union. Hier bleibt nichts mehr offen: keine Fragen und auch kein Zweifel.

Ogbohs Arbeit erinnert an die Gewinnerin des letzten Preises: Nina Beier. Die Künstlerin hatte Bronzefiguren aus dem Bestand der Kunsthalle auf Teppichstapeln gebettet und Geldscheine daneben gelegt.

Deutlich rätselhafter sind etwa die Arbeiten von Pauline M’barek. Auf einer Leinwand bewegen sich zwei Hände. Sie stecken in weißen Handschuhen, so wie man sie zum Anfassen von Kunstwerken benutzt. Alles, was nicht weiß ist auf der Bildfläche, ist unsichtbar. Man sieht sie Hände vorsichtig etwas halten, dann wieder weglegen und erneut aufnehmen. Was es ist, kann man nicht sehen. Möglicherweise agieren sie auch nur miteinander. Möglicherweise bedeuten ihre Bewegungen etwas. Möglicherweise ist es Gebärdensprache oder Pantomime.

Dass Welthunger mit der Verteilung des Reichtums zu tun hat, wusste man schon

Oder aber sie hantieren mit einem der gipsernen Objekte, die M’barek auf einer gläsernen Tischplatte gegenüber der Filmprojektion platziert hat. Sie wirken organisch, erinnern an Früchte, Blüten oder Muscheln. Oder sind es vielleicht irgendeine Art Kultgegenstände? In Wirklichkeit sind es Negativvolumen ihrer Hände. So wäre der Bezug zu den scheinbar ins Leere greifenden Händen auf der Leinwand hergestellt.

Besonders eindrucksvoll ist der Raum der Künstlerinnen Alberta Niemann und Jenny Kropp, die seit ihrem Studium zusammen unter dem Namen FORT arbeiten. Ihre Arbeit ist sehr direkt erfahrbar. Man betritt einen gewöhnlichen Mietshauskorridor. Der Boden besteht aus zerkratztem, ausgeblichenem Laminat, an der tiefer gezogenen Decke sind eingefasste Neonleuchten befestigt, die angehen, sobald jemand den Korridor betritt. Die Türen und Fußmatten fungieren als Bilder. Sie erzählen Geschichten. Man sieht Türen mit Einbruchstellen oder Aufklebern, die Matten haben ausgetretene Muster. Das traurigste Moment findet sich versteckt in einer der Ecken: ein geschmolzenes orangenes Eis am Stiel.

Wenn es nach dem Bremer Kunstpublikum gehen würde, wären die beiden sicherlich Gewinner. Beide haben an der Hochschule für Künste in Bremen studiert. Niemann ist zudem die Tochter des vor wenigen Jahren verstobenen Bremer Malers Norbert Schwontkowski. Die Jury allerdings ist international besetzt. Etwa Fabrice Hergott, der am Centre Pompidou für die zeitgenössische Kunst zuständig ist, und Adam Szymczyk, der Leiter der nächsten Documenta gehören ihr an. Der Gewinner oder die Gewinnerin wird am 28. August bekanntgegeben.

Bis 18. September, Kunsthalle

Der Autor ist Mitbetreiber der Bremer Galerie K‘