Der deutsche Holländer im Dienst des Kollektivs

Herbert Neumann hat die niederländische Fußballphilosophie verinnerlicht. Seit Saisonanfang trainiert der Kölner den Zweitligisten VVV Venlo, derzeit Tabellenführer. Und fühlt sich akzeptiert

„Die Leute hier in Venlo sehen, dass ich nicht weit von ihren fußballkulturellen Grundlagen entfernt bin. Der holländische Fußball basiert stark auf positionellem Spiel und Handlungsschnelligkeit“

AUS VENLO ROLAND LEROI

Wenn Herbert Neumann „lecker“ ruft, denkt der Fußballlehrer nicht etwa an gutes Essen. „In Holland heißt das soviel wie: Klasse, gut gemacht“, erklärt der 51-jährige Kölner, der eine Menge von „leckerem Fußball“ versteht.

Seit Saisonbeginn ist Neumann als einziger deutscher Trainer in Hollands bezahltem Fußball tätig: Er ist verantwortlich für den Zweitligisten VVV aus Venlo. Erklärtes Ziel des Vereins ist der Aufstieg in die Ehrendivision. Bis jetzt liegt der Club aus dem deutsch-niederländischen Grenzgebiet, der zuletzt 1996 erstklassig spielte, im Plan. In den ersten 13 Partien dieser Saison sammelte der Tabellenführer 30 Punkte und verlor nur ein Spiel. Die einzige Niederlage schmerzte dennoch. „Ausgerechnet im Derby gegen Maastricht. Das war ein ziemlicher Kater“, sagt Neumann. „Nach einem dummen Gegentor wollte die Mannschaft zu schnell den Ausgleich und lief in einen Konter“, meint der Coach, der überhastete Aktivitäten nicht schätzt. Auf dem Platz müsse überlegt agiert und dann der zwar schnelle, aber ebenso konzentrierte Abschluss gesucht werden. Im Training lässt er das regelmäßig üben.

194 Bundesligaspiele bestritt Neumann bis 1983 für den 1. FC Köln, mit dem er Deutscher Meister wurde und drei mal den DFB-Pokal gewann. Als Trainer führte er Vitesse Arnheim in den UEFA-Cup und entdeckte dort vor zehn Jahren den heutigen Bayern-Torjäger Roy Makaay. Der RSC Anderlecht, Istanbulspor und NAC Breda waren weitere Stationen, bevor sich Neumann eine mehrjährige Auszeit genehmigte und als Berater arbeitete. „Aus privaten Gründen war ein Fulltime-Job nicht möglich, die Zeit ist jetzt ausgestanden“, sagt er. Venlo versteht der Kölner als Neuanfang. In Ruhe kann Neumann in der Einkaufsstadt arbeiten. Selten mehr als fünf Zuschauer beobachten das tägliche Training. „Anfangs waren wir skeptisch, als der Deutsche kam“, gibt ein älterer Herr zu. Die sachliche und ruhige Art Neumanns, der fließend Niederländisch spricht, habe dann aber alle überzeugt. „Die Leute sehen, dass ich nicht weit von ihren fußballkulturellen Grundlagen entfernt bin“, sagt Neumann: „Der holländische Fußball basiert stark auf positionellem Spiel und Handlungsschnelligkeit. Hier wird in allen Situationen die fußballerische Lösung bevorzugt.“

Zudem stünde das Kollektiv im Vordergrund, während in Deutschland eher der Hang zum Individualismus besteht. „Man muss sehr früh in der Erziehung beginnen, um dieses kollektive Denken herzustellen“, glaubt Neumann. Fast empört reagiert er, wenn von den ach so lockeren Holländern gesprochen wird. „Die haben mehr Disziplin, als mancher denkt“, sagt Neumann. Gerne ist er deshalb im Nachbarland beschäftigt. Das Rüstzeug für diese Ansprüche habe er mitgebracht, „einiges aber auch neu gelernt“. Angebote aus Deutschland hatte der frühere Nationalspieler einige. Häufig wurde sein Name genannt, wenn in der Bundesliga gerade ein Posten verwaist war, zu einem Engagement kam es aber nie. „Ich würde auch in Deutschland arbeiten, um unter Beachtung der Individualität ein Kollektiv zu kreieren. Wann immer es interessante Anfragen gab, fühlte ich mich aber gerade sehr wohl oder mein Präsident wollte mich nicht ziehen lassen“, erzählt er. Und so begreift er Venlo nicht als Sprungbrett. Neumann plant nicht, was nicht planbar ist. „Das ist momentan nicht Teil meines Denkens.“

Als deutscher Holländer wird Neumann in Venlo akzeptiert, nationalistische Ressentiments habe er auf allen seinen Stationen nicht wahrgenommen. In Venlo muss er allerdings mit bescheidenen Mitteln auskommen. Der Saisonetat beträgt knapp vier Millionen Euro, das Stadion „De Koel“ (das Loch) fasst nur 7.000 Zuschauer und ist selten ausverkauft. „Druck gibt es aber überall“, weiß Neumann, der es nicht scheut, sich mit den wenigen Trainings-Zuschauern anzulegen und diese vom Rasen zu vertreiben. „Ich mag es nicht, wenn die Leute zu nah dran sind und die Mannschaft in ihrer Konzentration stören“, sagt er. „Typisch deutsch“ sei das, schmunzeln die Vertriebenen, die es Neumann aber nicht übel nehmen. Schließlich soll der Deutsche dafür sorgen, dass nächste Saison wieder Ajax Amsterdam, Feyenoord Rotterdam oder der PSV Eindhoven in Venlo zu Gast sind und VVV richtig „leckeren“ Fußball zeigen kann.