piwik no script img

Anekdoten, Lügen und Ohrfeigen

Biller Papers 3 Eine Kritik „in progress“ zu Maxim Billers Roman „Biografie“

Nach dem ersten Drittel hat man verstanden, wie durchgeknallt das ist

Ich lese das Buch langsam. Ich bin jetzt am Ende des ersten Drittels von Maxim Billers Roman „Biografie“, dem Punkt, an dem, kann ich mir denken, die Kollegen Literaturkritiker, die schnell auf das Erscheinen reagieren mussten, sich gefragt haben: „Alles schön und gut, aber was macht er da eigentlich, was soll das Ganze?“

Es lässt sich an diesem Punkt viel sagen über die Übersexualisierung, über die Neigung zu Pointen und Anekdoten, die Sprache (manchmal fühle ich mich an die knödeligen Sätze von Günter Grass erinnert und muss lachen, mit Grass würde Maxim Biller nicht gern in Verbindung gebracht werden). Aber, was zumindest an dieser Stelle schwierig ist, ist, das Projekt in irgendeiner Weise auf einen Punkt zu bringen, eine Vorstellung davon zu haben, was das Buch der Welt hinzufügt. Genau das braucht man als LeserIn bei diesen dicken, komplizierten Büchern aber irgendwann.

Es muss ja auch gar nichts Kompliziertes sein. Bei Knausgård ist klar: Hier zieht sich jemand schreibend so nackt aus, wie er kann, um sich selbst auf die Spur zu kommen. Bei William T. Vollmann ist klar: Hier will jemand den Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs irgendwie zu fassen versuchen. Und Biller? Selbstverständlich ist vom Vorwissen über diesen Autor klar, dass im Hintergrund die Themen rund um den Holocaust stehen, und man ahnt, dass es da irgendwo ein Gravitationszentrum geben mag. Vom Text selbst aus ist das bis zum Ende des ersten Drittels nicht klar. Maxim Biller erzählt Anekdoten aus der Kreativ-, vor allem der Filmszene, macht sich über den Schauspieler Jeff Goldblum und anhand von Darfur-Episoden über Weltrettungsfantasien lustig; groovt sich immer wieder in die Schilderung einer offenbar noch unverarbeiteten Kindheit zwischen Prag und der Hamburger Hartungstraße 12 ein, in der Lügen und Ohrfeigen eine große Rolle spielen.

Helge Malchow, der Verleger Maxim Billers, hat in seiner Rede bei der Buchpremiere angekündigt, dass ab Seite 750, wenn die beiden Freunde Soli und Noah in die Ukraine reisen und ihnen die Geschichte der dortigen Pogrome erzählt wird, sich die gesamte Romanwelt eröffnen würde. Von da aus solle man das ganze Buch noch einmal lesen: „Hier zeigt sich“, so Malchow, „die durchgeknallte Romanwelt ist die Antwort auf eine durchgeknallte Welt.“

Am Ende des ersten Drittels hat man verstanden, wie durchgeknallt das ist. Jetzt müsste aber noch etwas kommen, das diese Durchgeknalltheit als Schreibprojekt begreifbar macht. Mal sehen. Nächste Woche mehr.

Dirk Knipphals

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen