Österreicher offensiv,
Polen pomadig

Transeuropäisch In Wien sind sogar Boulevardmedien gegen Freihandel. Osteuropäern ist er egal, Schweden demonstrieren zahm. Ein Überblick der Proteste gegen TTIP in der EU

Brüsseler Demo-Dress: der Triple-Button (Backe, Backe, Revers)

Londoner Demo-Dress: der Big-Ben-Finger Fotos: Jess Hurd/REA/laif

Hofsterben und Hormonfleisch

Österreich

Ungewöhnliche Allianzen bilden sich in Österreich. Attac und das Boulevardblatt Kronen Zeitung sehen sich schon lange in einem Boot, wenn es darum geht, vor Chlorhühnern und der Willkür der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu warnen. Jetzt haben auch Greenpeace, die Biobauern und die Handelskette SPAR zusammengefunden und eine gemeinsame Studie in Auftrag gegeben. Da geht es nicht nur um den in den USA gebräuchlichen Einsatz von Chemikalien und Wachstumshormonen, die Lebensmittel zwar nicht besser, aber billiger machen.

Das vom renommierten Institut für Höhere Studien (IHS) mit der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (Öfse) erstellte Papier nimmt den Freihandelsbefürwortern auch das Argument, mit dem sie am vehementesten für das Abkommen werben, nämlich die Schaffung von Arbeitsplätzen. Im Gegenteil gilt: TTIP vernichte Jobs. Bis 2026, so die vergangene Woche vorgestellte Studie, gingen in Österreichs Landwirtschaft und Lebensmittelbranche infolge des transatlantischen Abkommens mehr als 700 Arbeitsplätze verloren.

Langfristig koste es beide Sektoren fast 4.700 Jobs. Auch die Gesamtbeschäftigung in Österreich sinke in den kommenden 20 Jahren um 0,03 Prozent, also um 1.100 Stellen. Und der Strukturwandel in der Landwirtschaft, der jetzt schon jährlich Hunderte Höfe vernichtet, werde beschleunigt. Symptomatisch für die Stimmung ist auch, dass keine/r der sechs Kandidat*innen für die kommende Bundespräsidentschaftswahl TTIP ohne Wenn und Aber unterschreiben würde. rld

Malmström wird’s schon richten

Schweden

Über 46.000 Unterschriften konnte der Anti-TTIP-Aufruf „Stoppt das trojanische Dala­pferd“ (ein Dalapferd ist ein kleines Holzpferd und Nationalsymbol der Schweden) der Campact-Schwesterorganisation Skiftet bislang zusammenbeiommen. Eine stolze Zahl für ein Land mit rund einem Neuntel der deutschen Bevölkerung.

Doch daraus zu schließen, es würde in Schweden eine breitere Debatte oder gar eine kraftvolle Opposition gegen das Abkommen geben, wäre falsch. Als im Oktober letzten Jahres in ganz Europa gegen TTIP und Ceta demonstriert wurde und allein in Berlin 250.000 Menschen auf die Straße gingen, froren in Stockholm und Malmö gerade einmal ein paar Hundert Wackere im Freien. Laut letztem „Eurobarometer“ sehen 60 Prozent der SchwedInnen TTIP positiv. Stefan Löfven, Chef der rot-grünen Regierung, bezeichnet sich selbst als „starken Fürsprecher“. Arbeitgeber und Gewerkschaften sind sich nicht nur in ihrer Unterstützung, sondern auch in der Argumentation einig: Schweden als kleines export­orientiertes Land, dessen größter nicht europäischer Handelspartner die USA seien – 7 Prozent der Ausfuhren gehen dorthin –, müsse ganz einfach an möglichst wenigen Freihandelshindernissen interessiert sein. Dass mit Cecilia Malmström „die Schwedin mit dem größten Einfluss in ­Europa“ (Göteborgs-Posten) federführend für die Verhandlungen ist, gilt in der öffentlichen Debatte weithin als Garantie, schwedische Interessen würden schon nicht zu kurz kommen.

Malmström versucht ihr Bestes, die Bevölkerung zu beruhigen. TTIP sei völlig undramatisch, betonte sie beispielsweise in einem Interview: Schließlich habe Schweden schon 1783 sein erstes Freihandelsabkommen mit den USA geschlossen. Und ohne Verweis auf „unsere EU-Kommissarin“, die angeblich eine „einzigartige Einflusschance“ für Schweden darstelle, glaubt selbst der Anti-TTIP-Aufruf von Skiftet nicht auskommen zu können. rwo

Sie brauchen ultimative Signale

Frankreich

Schon zweimal hat der französische Staatsminister für den Außenhandel, Matthias Fekl, wegen der stockenden TTIP-Verhandlungen mit einem Ultimatum gedroht. Dabei hat er öffentlich erklärt: Wenn von der amerikanischen Seite nicht klare Signale für Zugeständnisse kämen, brauche man gar nicht erst mit der nächsten Verhandlungsrunde anzufangen. Mit diesen Drohungen glaubt die französische Regierung, ihre Pflicht bereits erfüllt zu haben.

Tatsächlich rechnet sie sich Vorteile am Verhandlungstisch aus. Dies geht aus einem vom Außenministerium im Netz publizierten FAQ-Beitrag für ratlose Bürger hervor, in dem unter anderem erklärt wird, dass die französische Kulturproduktion (Film, Musik) vom Handelsabkommen nicht betroffen sei und dass auch die französische Landwirtschaft profitieren werde. Selbst auf die (berechtigte) Angst vor möglichen importierten genetisch modifizierten Pflanzen und Hormonkälbern aus den USA hat das Ministerium beruhigende Antworten. Wirklichen Widerstand gegen die TTIP-Ziele kommt vor allem aus den Reihen der NGOs, besonders von einem aus rund 70 Organisationen bestehenden „Collectif Stop TAFTA“.Tafta ist die alte, in Frankreich übliche Bezeichnung für TTIP.

Auch die Hinterzimmerpolitik wird kritisiert: Rund 60 Parlamentarier haben Anfang April in einem offenen Brief gegen die ihnen verdächtige Geheimniskrämerei bei den Verhandlungen protestiert und im Gegenzug versprochen, Frankreich werde in der „Verteidigung seines Landwirtschafts- und Ernährungsmodells nichts preisgeben“. rb

Wo das Steuer (noch) rechts ist

Großbritannien

Im Vereinten Königreich herrscht Wahlkampf. Am 5. Mai werden neue Regionalparlamente beziehungsweise Bezirksregierungen gewählt. Noch nie hat ein Handelsabkommen dabei eine so wichtige Rolle gespielt.

In Großbritannien fürchten die Menschen, dass ein großer Teil des Gesundheitssystems unwiderruflich privatisiert werden und der Standard dadurch noch weiter gesenkt werden könnte. Zwar gilt die Ausnahme, dass Unternehmen den Staat nicht verklagen können, wenn sie ihre Interessen bedroht sehen, aber viele glauben, dass dieser Schutz ausgehebelt werden könnte. Darüber hinaus fürchten Arbeitnehmer in schwächeren Industriezweigen um ihre Jobs; wenn ihre Branche dem Wettbewerb durch US-Unternehmen, in denen Arbeitnehmer weit weniger Rechte haben, ausgesetzt ist, droht Arbeitsplatzabbau. Nur die Automobilbranche kann sich entspannen: In den USA ist das Steuer links, in Großbritannien ist es rechts.

David Cameron hat den Gegnern des Handelsabkommens den Kampf angesagt. Die Behauptung, das Abkommen werde zur Privatisierung weiter Teile des Gesundheitssystems führen, sei „völliger Blödsinn“, sagt Cameron. Labour-Chef Jeremy Corbyn lehnt TTIP ab, weil er findet, dass das Abkommen die Rechte der Arbeiter bedroht. raso

Angriff der Killer-Abkommen

Spanien

In Spanien ist TTIP (das hier ACTI heißt) dank der von Bürgerlisten regierten Städte als Thema präsent. Allen voran macht sich Barcelona unter der Bürgermeisterin und ehemaligen Aktivistin gegen Zwangsräumungen, Ada Colau, gegen das transatlantische Freihandelsabkommen stark. Im vergangenen Oktober verabschiedete der dortige Gemeinderat eine Erklärung gegen TTIP. Das Abkommen sei „ein Angriff auf die Souveränität des Volkes“.

Im andalusischen Cadiz, wo unter Bürgermeister José María González ebenfalls eine Bürgerliste regiert, wird das Thema diesen Monat auf der Tagesordnung des Stadtrats stehen. In Madrid verlangt die Antiglobalisierungsbewegung, dass „Ahora Madrid“ ebenfalls aktiv wird. Spanienweit macht sich natürlich vor allem die Antiausteritätspartei Podemos – die an den lokalen Bürgerlisten beteiligt ist – gegen TTIP stark.

Die beiden großen Parteien, die noch regierenden Konservativen um den amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy und die koalitionswilligen Sozialisten (die linke Podemos hat kürzlich eine Koalition abgesagt), unterstützen in Brüssel hingegen brav alles, was die große europäische Koalition ihnen vorgibt. Dabei hat Spanien bereits die ersten Klagen über sich ergehen lassen müssen: Hier war es allerdings der Stromkonzern Eon, der gegen die von der spanischen Regierung vorgenommenen Streichungen der Subventionen für ausgerechnet erneuerbare Energien Klage eingereicht hat. Dies könnte, so spanische TTIP-Gegner, im negativen Fall Schule machen: Denn besonders die Schiedsgerichtsbarkeit ist mehr als umstritten.

An die Klage von Eon haben sich noch 16 andere Unternehmen drangehängt. Dank der mit TTIP kommenden Schiedsgerichtsbarkeit wären Regierungsbeschlüsse nicht mehr vor Klagen gefeit. Somit können parlamentarisch getroffene Entscheidungen von Unternehmen juristisch angefochten werden. Für mögliche Strafen haftet dann der Staat. rw

Besser neu als immer dieses Altpapier

Polen

Gerade mal 3 Prozent der Polen interessieren sich intensiver für das geplante Handelsabkommen zwischen den USA und der EU. Dies zeigt eine Ende Februar veröffentliche Umfrage des Warschauer Meinungsforschungsinstituts TNS. 52 Prozent der Befragten kann mit dem Kürzel gar nichts anfangen und hat auch noch nie von den Verhandlungen gehört. Diejenigen Polen, die schon einmal von TTIP gehört haben (48 Prozent), sind jedoch zum größten Teil (45 Prozent) wenig oder gar nicht am Thema interessiert.

So ist es auch kein großes Wunder, dass den Protestaufrufen kleiner engagierter Nichtregierungsorganisationen kaum jemand folgt. Zur bislang größten Demonstration vor der Vertretung der Europäischen Kommission in Warschau kamen letztes Jahr rund 300 TTIP-Gegner. In anderen Städten war die Beteiligung an den Demonstrationen noch geringer. Der europäischen Initiative „Stop TTIP“, die sich auch an dem Warschauer Protest 2015 beteiligte, konnte auf den Straßen der polnischen Hauptstadt rund 1.500 Unterschriften gegen TTIP sammeln.

In der Umfrage vom Februar gehen über 70 Prozent der Befragten davon aus, dass das Abkommen den USA und der EU Vorteile bringen werde. Knapp die Hälfte glaubt sogar, dass TTIP ihnen persönlich von Nutzen sein werde.

Die Ignoranz nimmt allerdings auch nicht groß wunder. In den zehn Jahren seit Polens EU-Beitritt stieg das Einfuhrvolumen des Landes um knapp 130 Prozent. Die Handelsabkommen insbesondere mit den USA gelten indes als veraltet; in Polen hofft man somit auf Verbesserungen durch TTIP. So stellt sich auch Mateusz Morawiecki, der Minister für wirtschaftliche Entwicklung, vorbehaltlos hinter das Abkommen. Er werde es unterschreiben, da Polen von den Entwicklungsimpulsen profitieren werde, erklärte er Anfang März. GL