Zweifler, Filmer, Kommunist

Als jüdischer Emigrant hatte Konrad Wolf ein schwieriges Verhältnis zu Berlin. Er machte Karriere in der SED und blieb dennoch kritisch. Heute wäre der wichtigste DDR-Regisseur 80 Jahre alt geworden. Ein Porträt

Gut, dass der siebenjährige schwäbische Bub im Jahr 1933 aus Stuttgart floh. Ansonsten wäre er wenig später in ein Konzentrationslager abtransportiert worden. Konrad Wolf, der wichtigste Filmregisseur der DDR, war Sohn des deutschjüdischen Schriftstellers und Kommunisten Friedrich Wolf. Heute wäre er 80 Jahre alt geworden.

Er starb 1982 und wurde auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde begraben, dort wo auch die Grabsteine von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht stehen. Das letzte Mal, dass Wolf in Berlin für Schlagzeilen sorgte, war im Jahr 2000, als Wolfgang Hackel, der ehemalige CDU-Kulturminister in Brandenburg, Wolfs Namen aus dem Titel „Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf“ streichen wollte. Der Grund: Wolf habe keinen internationalen Ruf. Nach heftigem Widerstand durch den Präsidenten der Filmhochschule Dieter Wiedemann, den PDS-Politiker Lothar Bisky und die Defa-Stiftung trägt die Schule in Potsdam-Babelsberg heute noch immer ihren Namen.

Wolf erwarb sich bereits mit seinem Schoah-Film „Sterne“ 1959 internationale Anerkennung. Es war der erste Nachkriegsfilm, der den Holocaust und das System der Vernichtungslager thematisiert. „Sterne“ handelt von griechischen Juden in einem Konzentrationslager in Bulgarien und wurde mit dem Sonderpreis in Cannes ausgezeichnet.

Berlin und seine Umgebung sowie der Kampf gegen den Nationalsozialismus spielen in Wolfs Leben ebenso eine Rolle wie in seinen Filmen. Wolf war neunzehn, als er als Soldat der Roten Armee nach Berlin kam. Er diente als Stadtkommandant in Bernau. Er war an der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen und der Stadt Berlin beteiligt.

Ein Spiegel Berlins

Seine Filme spiegeln nahezu jede Phase der modernen Geschichte Berlins wider. In „Lissy“ vermittelt er einen lebendigen Eindruck der Vorkriegszeit auf dem Kurfürstendamm, in seinem autobiografischen Film „Ich war neunzehn“ vom Angriff auf Berlin und Spandau. „Der geteilte Himmel“ – nach dem Roman von Christa Wolf, die am Drehbuch mitarbeitete – porträtiert die Stadt kurz vor dem Mauerbau.

Beinahe zwanzig Jahre später wendete sich der Regisseur der Stadt Berlin „aus Respekt vor ihr und ihrer Realität“ zu: Wolfs letzter Spielfilm „Solo Sunny“ wurde zum Kultfilm: Er lenkt den Blick auf den grauen, trüben Prenzlauer Berg Ende der Siebzigerjahre, erzählt die Geschichte einer Sängerin, die gegen Konformismus kämpft. Die ungeschminkte Darstellung des Alltags eines zerfallenden DDR-Lebens in Berlin ist vor allem deshalb verblüffend, weil Wolf damals Mitglied des SED-Zentralkomitees war.

Er war jedoch kein Stalinist, sondern verkörperte die Suche nach dem so genannten „sozialen Humanismus“. Tatsächlich wurde Wolf von der Staatssicherheit bespitzelt. Mit Stefan Heym gilt Konrad Wolf als einer der letzen „Kulturromantiker“ der DDR.

Neben seiner Filmarbeit war Wolf auch Präsident der Akademie der Künste in Berlin. 1965 wurde er mit 40 Jahren der jüngste Präsident in der Geschichte der Akademie. Und blieb in diesem Amt bis zu seinem Tod im Jahr 1982.

Was für ein Mensch war Konrad Wolf wirklich? Seit der jüngst erschienenen, umstrittenen Biografie „Der Sonnensucher“ der beiden Filmhistoriker Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich steht Wolf erneut im Rampenlicht. In diesem Jahr fanden bereits ein internationales Symposium über Wolf in der Babelsberger Filmhochschule und eine Filmretrospektive statt.

Eine weitere Veranstaltung findet in der Friedrich-Wolf-Gedenkstätte in Lehnitz bei Berlin statt. Am 30. Oktober sprechen der ehemalige Chefspion der DDR, Markus Wolf, Bruder von Konrad Wolf, und der Drehbuchautor und Filmmacher Wolfgang Kohlhaase mit den Autoren des Buches „Der Sonnensucher“ über Konrad Wolf.

Die Hitlerbewegung war das zentrale Ereignis in Wolfs Leben. 1945 stand er Berlin und den Deutschen äußerst misstrauisch gegenüber. Ein kompletter Wiederaufbau Berlins war deshalb für Konrad nicht selbstverständlich: „Berlin war für mich Sinnbild dessen, wo das alles herkam, das Leid, die Millionen Toten, der Wahnsinn, der Fanatismus. Später dachte ich, es sei vielleicht gut, wenn aus diesem Berlin eine Art Mahnmal würde, zur Abschreckung.“

Arbeit als Reporter

Das Trauma und die unvorstellbare Grausamkeit während des Vernichtungskriegs an der Ostfront hatten ihn stark geprägt. Trotz seiner ambivalenten Einstellung zu seiner Heimat half er in Berlin beim Wiederaufbau. In einer Kreuzberger Druckerei in der Urbanstraße 71 fing Wolf als „Lokalreporter“ für die Berliner Zeitung an. Er arbeitete mit an der ersten Ausgabe vom 21.Mai 1945, deren Schlagzeile „Berlin lebt auf“ war. Der Untertitel von Wolfs erstem Bericht über die Suche von drei Frauen nach vermissten Familienangehörigen war: „Viertelstunde in der Abteilung für Sozialfürsorge“.

Fühlte sich Konrad in der Hauptstadt des neuen, besseren Deutschlands wohl? Wer aus dem Exil in die Heimat zurückkehrt, bleibt dennoch permanent im Exil. Sein Sohn Oleg, der Facharzt für Neurochirurgie in Pankow ist, sagt: „Er ist nie ein richtiger Berliner geworden.“ Wie viele Emigranten lebte Wolf zwischen den Stühlen der Kulturen und Identitäten. Er war Russe, denn er war in Moskau aufgewachsen. Er war Jude und Deutscher. Seine Filme dürften eine Art Therapie für ihn gewesen sein. Der Titel „Genesung“, ein früher Film aus dem Jahr 1956, könnte nicht nur als Hauptmotiv seiner Filme gelten, sondern bezeichnet auch sein Verhältnis zum Alltag. Wolf sagte: „Wenn andere Menschen glücklich sind, macht es mich glücklich.“ Seine Authentizität und sein Mitleid wurden nicht nur von dem DDR-regimekritischen Schriftsteller Thomas Brasch geschätzt.

Sechs Wochen vor seinem Tod traf Wolf am Bahnhof Zoo Brasch. Der war nach der Biermann-Ausbürgerung nach Westberlin übergesiedelt und wollte eine Szene für seinen Film „Domino“ im Pergamonmuseum in Ostberlin drehen. Wolf erzählte seinem Freund, er habe beim Kulturministerium vergeblich um eine Filmerlaubnis gebeten. „Ich glaubte ihm, und mir schien, dass ich ihn darüber trösten müsse, nicht er mich“, schrieb Thomas Brasch später nieder. Beide Künstler starben im Alter von 56 Jahren. Viel zu früh. BENJAMIN WEINTHAL