LeserInnenbriefe
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Europa kann nur zuschauen

betr.: „Europas falsche Prioritäten“, taz vom 26. 4. 16

Wenn Karim El-Gawhary einen Artikel in der taz schreibt, lese ich ihn. Diese Analysen sind außerordentlich überzeugend in der Argumentation. Sie klären auf, sie bewegen die Gedanken, sie erweitern meine Überzeugungen. Diesmal nicht.

Doch ich stimme zu, wenn er schreibt: „Produzieren arabische Autokraten nicht schneller Terrorismus, als sie ihn dann bekämpfen können.“ Ja, ohne „?“. Ein Ja auch für die Feststellung: „Die arabischen Despoten sind nicht die Lösung, sie sind das Problem.“ Doch hört die Zustimmung auf, wenn der Autor folgert: „Ägypten ist nichts anderes als eine Zeitbombe, die Europa früher oder später um die Ohren fliegen wird.“ Hier sage ich Nein. Die arabische Welt ist nicht nur von selbstherrlichen Despoten bestimmt. Ihnen helfen die vielfältigen religiösen Spaltungslinien, die archaisch verfestigten Stammestraditionen, die Ungleichheiten in der Verteilung der Naturschätze, die unterschiedlichsten Herrschaftsinteressen und ihre Verbindungen mit der Welt „außerhalb“, um mit kriegerischen Auseinandersetzungen nach innen und außen ihre Despotien zu festigen. Daran wird keine amerikanische oder europäische Intervention etwas ändern.

Der relevante Widerspruch gegen die Despoten kann nur von innen heraus erfolgen, wie es der Arabische Frühling im ersten Anlauf vergebens versucht hat. Europa kann dabei nur zuschauen und höchstens daran erinnern, wie viele Jahrhunderte es gebraucht hat, um sich aus der eigenen Unmündigkeit durch das Zeitalter der Aufklärung zu befreien und von welchen Kriegen und Grausamkeiten dies begleitet war. Das ist keine gute Perspektive für die arabische Welt, die der inneren Aufklärung jedoch die einzige. Was hat Europa damit zu tun? Natürlich wird es vermehrt Anschläge und auch Versuche zu töten geben. Aber um dies abzuwehren, gibt es Polizei und Geheimdienste. Ihre Funktionsweise wird sich verbessern. Die Gefahr geht weniger von Ägypten aus als von der Logik der Ordnungsdienste, das freiheitliche Element von Europa immer mehr einzugrenzen, das doch ein wesentliches Ziel der emanzipatorischen Bewegung in den arabischen Ländern ist. Es ist also ein Kampf auf beiden Seiten mit unterschiedlichen Zielen: etwas zu erreichen, etwas zu bewahren. Eine wechselseitige Intervention bringt keinen zum Ziel. PETER RASCHKE, Hamburg

Sehr geehrter Herr Raschke, vielen Dank für Ihren Leserbrief, dem ich in allen Teilen zustimme. Das Aushandeln der Zukunft kann nur in der arabischen Welt selbst geschehen und Europa hat dabei wenig Einflussmöglichkeiten. Ich habe in dem Text keine Interventionen gefordert. Dennoch denke ich, dass sich Europa bei den arabischen Autokraten nicht anbiedern oder ihnen gar Waffen verkaufen sollte, denn wie Sie auch mir wiederum zustimmen, sind sie ein Teil der Problems und sicherlich kein geeignetes Instrument, einer Radikalisierung des Diskurses und einer Militarisierung der Taten entgegenzuwirken. Je mehr sie die politischen Räume verschließen, umso mehr werden sie Extremismus produzieren.

KARIM EL-GAWHARY, Auslandkorrespondent

Geheimnisse lüften

betr.: „Ein Leben lang zerrissen“, taz vom 21. 4. 16

Wirklich jeder Mensch sollte das Recht haben zu erfahren, wer seine Eltern sind! Es ist ja oft schon in der eigenen Familie schwierig genug, an Geheimnisse und Tabus zu kommen, um seiner eigenen Identität näherzukommen. Außerdem stimmt es, dass solche Geheimnisse einzelne Menschen stark belasten können, ein ganzes Leben lang. Und sie können befreiend wirken, wenn sie gelüftet werden, sogar für alle Beteiligten, auch wenn es zuerst wehtut. ILONA HORN, Marburg