Das Ding, das kommt
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Mit Raubdrucken ging’s los: Was die für den linken Buchhandel der 1970er-Jahre bedeuteten, hat der Historiker Uwe Sonnenberg erforscht Foto: Goerdten/Wikimedia

Nachholender Überdruck

Den Hintern haben sie schon ordentlich bewegt, Mitte der 1960er in der westdeutschen Neuen Linken. Im hinterhereilenden Kopf aber knurrte der Begriffshunger: Authentische Texte, von denen ausgehend sich die intellektuellen und politischen Suchbewegungen organisieren ließen – Mangelware.

Ein „nachholender Überdruck“ habe sich da aufgebaut, so formuliert es der Historiker Uwe Sonnenberg, der jetzt die erste umfassende Studie über linke Ladenkollektive, Raubdrucke und politische Agitation in den 1970er-Jahren vorgelegt hat: „Von Marx zum Maulwurf“ (Wallstein 2016, 568 S., 44 Euro). Denn parteiunabhängige, kollektiv betriebene Verlage, Druckereien und Vertriebe tauchten in den Standardwerken zur deutschen Geschichte „ebenso wenig auf wie etwa die Geschichte der Softeisproduktion“.

Dabei ist der Einfluss der linken Läden auf die politische Kultur kaum zu überschätzen: Weil über die marxistischen und psychoanalytischen Debatten der Zwischenkriegszeit, an welche die Neue Linke anknüpfen wollte, auf dem Buchmarkt nichts zu finden war, musste sie „ihr Lektürebedürfnis jenseits der bestehenden Strukturen befriedigen“, so Sonnenberg, woraus sich schließlich der Verband des linken Buchhandels (VLB) entwickelte, in dem bundesweit bis zu 200 Projekte engagiert waren.

Ausgangspunkt waren kleine Zirkel, die Mitte der 1960er-Jahre begannen, Manuskripte und vergriffene Vorkriegsausgaben in Archiven, Antiquariaten oder Privatbibliotheken auszubuddeln und sie in Handarbeit einfach nachdruckten. Subversive Untergrundverlage entstanden, irgendwann entdeckten auch etablierte Verlage wie Rowohlt und Suhrkamp die Neue Linke. Aber schließlich, Anfang der 1980er, gewannen dann die typischen „Konfliktgeschichten“ in vielen Kollektiven die Oberhand – und der linke Buchhandel geriet endgültig in die Krise.

Von all dem erzählt Sonnenberg, der die Arbeit an solchen Orten aus eigener Erfahrung kennt, umfassend und quellengesättigt. Und fragt nicht zuletzt danach, was davon geblieben ist und woran man anknüpfen könnte. Diese Woche stellt er das Buch in Bremen und Hamburg vor. MATT

Mo, 2. Mai, 19.30 Uhr, Bremen, Zentrum „Paradox“

Di, 3. Mai, 20 Uhr, Hamburg, Buchladen Osterstraße