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Amtsenthebung von Brasiliens PräsidentinDas Parlament ist gegen Rousseff

Ein Rückschlag für Präsidentin Dilma Rousseff: Das Parlament vortiert mit 367 von 513 Stimmen für ein Amtsenthebungsverfahren.

Viele Brasilianer wollen sie nicht mehr: Noch-Präsidentin Dilma Rousseff Foto: ap

RIO DE JANEIRO taz | Ein zwei Meter hoher, undurchsichtiger Metallzaun soll vor dem Kongressgebäude in Brasilia die beiden verfeindeten Lager auseinanderhalten. Hunderttausende kamen an diesem Sonntag und demonstrierten auf ihrer Seite des Zauns entweder für oder gegen die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff. Die Spaltung ist seit Monaten im Land zu spüren und nimmt zu. Auch der Groll auf die jeweils anderen wird stärker.

Vielen in Brasilien gilt die Mauer mitten im Regierungsviertel der Hauptstadt als Symbol der politischen Zukunft – jetzt, nachdem kaum noch jemand daran zweifelt, dass Präsidentin Rousseff und mit ihr die Arbeiterpartei PT aus dem Präsidentenpalast gedrängt wird.

Weit über vier Stunden dauerte die Abstimmung im Parlament, die am Sonntagabend wie ein Fußballspiel live übertragen und auf Großleinwänden der Pro- und Contra-Veranstaltungen im ganzen Land gezeigt wurde. Kurz vor Ende jubelten die meist grün-gelb geschmückten Anhänger der Opposition, die oft rot gekleideten Gegner der Amtsenthebung trauerten: Mit 367 von 513 Stimmen stimmten deutlich mehr als die notwendigen zwei Drittel der Abgeordneten für die Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens. Das ist mehr als eine Vorentscheidung, denn im Senat benötigt die Opposition jetzt nur eine einfache Mehrheit, dann muss Rousseff für 180 Tage ihr Amt ruhen lassen.

Gespalten auch die ersten Reaktionen: Oppositionsführer Aécio Neves sprach von einem „Sieg der Demokratie“. Das Ergebnis der Abstimmung sei „die Quittung für Arroganz, Rechtsbruch und Straffreiheit“, so der konservative Senator, der Rousseff im Oktober 2014 bei der Stichwahl unterlag und seitdem ihren Sieg anficht. Parlamentspräsident Eduardo Cunha, der die Sitzung leitete und das Verfahren im Dezember eingeleitet hatte, erklärte, Brasilien sei in der Talsohle angelangt. „Jetzt ist es notwendig, so schnell wie möglich neue politische Stabilität zu schaffen“, so Cunha.

Opfer eines Komplotts

Für Staatsminister Jaques Wagner wurden „30 Jahre Demokratie unterbrochen“. Die Parlamentsentscheidung sei „ein Rückschritt, es ist ein trauriger Tag“. Im Namen der Präsidentin erklärte Bundesstaatsanwalt José Eduardo Cardozo, dass Rousseff trotz der Niederlage nicht zurücktreten werde. Sie sei Opfer eines Komplotts geworden. „Deswegen wird sie weiterkämpfen und der Gesellschaft zeigen, dass auf die schwer erkämpfte Demokratie nicht verzichtet werden kann“, sagte Cardoso.

Die Abstimmung war der Höhepunkt einer monatelangen Kampagne, in der Rousseff und die PT für alle Übel im Land verantwortlich gemacht wurde. Wirtschaftskrise, Korruption, politische Stagnation, schlechte Stimmung. Doch erst das Amtsenthebungsverfahren und das Überlaufen der wichtigsten Koalitionspartner zur Opposition kurz vor der Abstimmung brachten das Ziel eines Machtwechsels in greifbare Nähe.

Das Problem war allerdings, dass Rousseff selbst vielleicht politische Fehler, aber keine Verbrechen vorzuwerfen waren, die aber Voraussetzung für ein solches Verfahren sind. So wurden in Brasilien durchaus übliche Haushaltstricks der Rousseff-Regierung derart aufgebauscht, dass sie von Abgeordneten sogar als „Verbrechen am Vaterland“ bezeichnet wurden. Konkret ging es um die Bezahlung von Staatsausgaben mit Geldern von staatlichen Banken, was zwar niemandem geschadet hat, aber in Vorwahlzeiten durchaus dazu diente, die kritische Lage des Haushalts zu verschleiern.

Die Regierung und ihre Anhänger monieren, dass „ein Amtsenthebungsverfahren ohne nachgewiesenes Verbrechen ein Staatsstreich“ sei. Es sei ein Vehikel, um der Opposition, die bei Wahlen nicht gewinne, den Weg zur Macht abzukürzen. Als der Ausgang des Verfahrens absehbar war, mobilisierten auch diejenigen, die von der PT enttäuscht und ihr längst den Rücken gekehrt hatten, gegen das Vorgehen der Opposition. „Não vai ter golpe – Es wird keinen Putsch geben“ wurde zum Leitspruch derjenigen, die nicht die arg korrupte PT und auch nicht Rousseffs liberale Wirtschaftspolitik verteidigten, aber doch die Demokratie und den Rechtsstaat. Aber dies kam zu spät, um die Stimmung zu wenden.

Unzufriedenheit in den Griff kriegen

Der frenetische Jubel, der unter den oppositionellen Abgeordneten nach ihrem Sieg im Parlament ausbrach, dürfte nicht lange anhalten. Ihr Projekt der Machtübernahme steht von Anfang an auf wackeligen Beinen. Sobald Rousseff ihr Amt – voraussichtlich in Mai – ruhen lassen muss, wird ihr langjähriger Vize Michel Temer an ihre Stelle treten. Seine PMDB war der wichtigste Koalitionspartner und lief Ende März zur Opposition über. Es wird erwartet, dass er sofort das gesamte Kabinett austauscht und eine breite Koalitionsregierung unter Ausschluss lediglich der linken Parteien bildet.

Nach den 180 Tagen, in denen die Amtsenthebung erneut geprüft wird, muss der Senat wieder abstimmen und diesmal mit Zweidrittelmehrheit gegen Rousseff stimmen. Sollte sie diesmal die Nase vorn haben, wäre das Politchaos perfekt. Sollte sie wieder verlieren, muss Temer nicht nur Wirtschaftskrise und Unzufriedenheit in den Griff kriegen, sondern auch die PSDB von Aécio Neves ruhigstellen. Denn die PSDB möchte selbst so schnell wie möglich an die Macht, anstatt dem bisherigen PT-Koalitionspartner den Vortritt zu lassen.

Zudem ist die PMDB alles andere als beliebt. Den Rechten gilt sie als mitverantwortlich für die Regierungspolitik, den anderen als untreuer Partner. Temer fehlt es an Profil und klaren politischen Aussagen. Und er ist enger Verbündeter des umstrittenen Parteikollegen Cunha, der sich im Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras als erster Politiker vor dem Obersten Gerichtshof verantworten muss.

Er wäre unter Temer Vizepräsident und ist das Aushängeschild eines Kongresses, der für viele Brasilianer schon lange jede Legitimität eingebüßt hat: Nach Angaben der Organisation Transparência Brasil haben 273 der 513 Abgeordneten Probleme mit der Justiz. Sie sind oder waren wegen Verbrechen wie Geldwäsche, Bestechung, Betrug und teilweise sogar schwereren Vergehen angeklagt oder wurden verurteilt. Auch in Senat liegt mit 45 zu 36 Senatoren die Quote der vor Gericht gestellten Politiker deutlich über 50 Prozent.

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