Der fliegende Internatszögling

SKISPRINGEN Zum Saisonauftakt der Skispringer in Kuusamo springt die schwäbische Nachwuchshoffnung Pascal Bodmer sensationell weit – und landet gleich in der Weltspitze

Dass Janne Ahonen Alhoholeskapaden und Hungerkuren gesteht, darüber spricht die Szene nur ungern

VON KATHRIN ZEILMANN

Als Pascal Bodmer bei der Vierschanzentournee im Vorwinter mitspringen durfte und es beim Auftakt in Oberstdorf immerhin zu Platz 19 reichte, da wirkten die Schanzen irgendwie zu groß für den Buben aus Schwaben. Das Getöse in den Stadien wirkte zu laut, Pascal Bodmer, so schien es, würde untergehen im Trubel auf den mächtigen Schanzen. Und damit hätte sich wieder einmal ein einigermaßen hoffnungsvolles Talent in der deutschen Skisprungabteilung als nicht Weltcup-tauglich entpuppt.

Nun ist fast ein Jahr vergangen. Die Schanze in Ruka nahe Kuusamo am Polarkreis ist nicht weniger groß als die Tournee-Bakken. Sie gilt sogar als die größere Herausforderung, weil sie windanfällig ist und das Wetter im Norden Finnlands unberechenbar. Aber der erst 18-jährige Bodmer war groß genug für diese Aufgabe. Beim Start in die neue Saison lieferte er am Freitagabend in der Teamkonkurrenz eine so beachtliche Leistung ab, dass er seine Mannschaftskollegen Martin Schmitt, Michael Uhrmann und Michael Neumayer auf Rang zwei trug – nur geschlagen von den wieder einmal überragenden Österreichern.

Am Samstag dann in der Einzelkonkurrenz von der Großschanze sprang Bodmer wieder so, wie man es jahrelang vergeblich von deutschen Talenten erhofft hatte: frisch, unbekümmert, technisch sauber – und vor allem: weit. Er wurde Zweiter hinter dem Norweger Björn Einar Romören. „Ich hab im Leben nicht erwartet, dass es für so weit nach vorne reicht“, sprach Bodmer, der die vergangene Weltcup-Saison noch als 55. in der Gesamtwertung abgeschlossen hatte. Doch diesmal verwandelte er die branchenübliche Nervosität vor dem zweiten Durchgang so erfolgreich in Energie, dass ihm mit 141 Meter die Bestweite gelang und er arrivierte Starter wie Weltmeister Wolfgang Loitzl, der Dritter wurde, noch übertrumpfen konnte. „Pascal hat das eiskalt durchgezogen“, lobte da auch der 32 Jahre alte Martin Schmitt, der sich mit Bodmer auf Weltcupreisen das Hotelzimmer teilt und auf dem dreizehnten Platz landete. Das gute Ergebnis der deutschen Skispringer vervollständigten Michael Uhrmann als Vierter und Michael Neumayer als Vierzehnter.

Sie wussten ja im deutschen Team, dass Bodmer aus Meßstetten im Zollernalbkreis seine Sportart beherrscht. Er besucht das Skiinternat Furtwangen im Schwarzwald, wo auch einst Schmitt und Sven Hannawald zu Überfliegern geformt wurden.

Aber zeigen konnte Bodmer seine Begabung nur bedingt auf der großen Weltcupbühne. Es war das jahrelange Dilemma des deutschen Skispringens: Vorne in der ersten Reihe tummelten sich die altbekannten Uhrmanns, Schmitts, Neumayers. Dahinter: nichts. Und stets ging der sehnsüchtige Blick vor allem nach Österreich, wo sie einen talentierten, kaltschnäuzigen, aber doch lockeren und irgendwie ständig grinsenden jungen Burschen nach dem anderen hervorzauberten.

Jetzt aber ist da Bodmer. Er schwäbelt ein bisschen, lächelt freundlich und erweckte in Kuusamo nicht den Eindruck, als träume er nach einem zweiten Platz von der großen millionenschweren Sportlerkarriere: „Es fängt im nächsten Wettbewerb wieder bei null an.“

Sollte bei Bodmer dieser Satz unterstreichen, dass er nicht dem Übermut verfällt, so hätte auch Janne Ahonen diesen Satz sprechen können. Aber dann wäre er Ausdruck der Hoffnung, dass es beim nächsten Mal ja nur besser werden kann. Ahonen, das ist der große finnische Skispringer, der Anfang 2008 seine Karriere nach fünf WM-Titeln und fünf Tournee-Siegen beendet hat und nun, in der Olympiasaison, wieder mittun will auf den Schanzen dieser Welt. In Ruka aber ist es nicht nach Ahonens Wunsch gelaufen: Im ersten Durchgang kam er mit schwachen 115,5 Metern nur auf Rang 34 und schaffte es nicht einmal ins Finale.

„Ich bin schon ein bisschen traurig“, sagte er ins Mikrofon einer deutschen TV-Reporterin. Früher hat Ahonen nur selten Interviews für nichtfinnische Journalisten gegeben. Er soll ein wenig lockerer geworden sein, sagen Beobachter über den 32-Jährigen, der jahrelang im Weltcup das Prädikat des großen Schweigers trug. Seine Schanzen-Auszeit hat er genutzt, um ein Buch zu schreiben, er berichtete über Alkoholeskapaden mit Dosenbier – und über radikale Hungerkuren, bei denen er sich tagelang nur von Kaffee ernährte, um genug abzunehmen. In der Skisprung-Szene spricht man ungern über dieses Thema. Aber Ahonen hat keine Scheu, es publik zu machen. „Die Menschen kannten mich nur als Sportler, aber nicht als Menschen. Deshalb habe ich das Buch geschrieben: dass die Menschen mich kennen lernen können.“ Man lernt: Auch Athleten haben Fehler, Laster und Schwächen.

Pascal Bodmer steht noch am Anfang, er hat seine Fehler auf der Schanze und seine Zweifel zunächst einmal besiegt und wartet ab, was da noch kommt.