Stillstand im OP, Ärzte auf der Straße

Straße statt Operationssaal: Bundesweit demonstrieren tausende Ärzte. Sie wollen einen eigenen Tarifvertrag, der sie besser stellt als andere öffentliche Bedienstete. Umstritten ist, ob die Lage wirklich so miserabel ist wie behauptet

VON COSIMA SCHMITT

Der Ärztevertreter setzt auf markige Worte: Deutsche Kliniken seien „Knochenmühlen“. Sie erinnerten an „preußische Kriegslazarette“. Armin Ehl vom Marburger Bund (mb) mühte sich um eindringliche Vergleiche, um zu erklären, warum gestern wieder tausende Klinikärzte auf der Straße standen statt im OP. „Sogar spanische Ärzte verdienen mehr als wir“, sagte er anlässlich der Demos in Berlin, Hamburg, Leipzig und anderen Städten. „Der Zustand ist untragbar.“

Der Hintergrund der Proteste: Der Ärzteverband Marburger Bund lehnt den neuen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst ab. Er will für Ärzte Sonderregeln aushandeln. So sollen die Klinik-Mediziner weiterhin Weihnachts- und Urlaubsgeld erhalten – und 30 Prozent mehr Lohn.

Ein Teilerfolg ist dem mb bereits beschieden: Seit ein paar Tagen verhandelt er mit der Tarifgemeinschaft Deutscher Länder über das Ärzte-Entgelt an Unikliniken. Die kommunalen Arbeitgeber aber lehnen einen Sondertarif Arzt bislang ab. Sie wollen, dass ihre Klinikärzte so bezahlt werden wie es der allgemeine Tarifvertrag vorsieht. Dafür werden sie jetzt mit einer Streikwelle abgestraft. Die Devise: Notfälle werden behandelt – viele Sprechstunden oder verschiebbare Operation fallen aus.

Dabei ist in der Fachwelt umstritten, ob die Ärzte tatsächlich so schlecht dastehen, wie der mb es darstellt. Der Arbeitsmarktökonom Hannes Spengler etwa hat für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung die Lage der Mediziner in Deutschland untersucht. Demnach verdienten junge Ärzte im öffentlichen Dienst 2003 in der Tat rund 6 Prozent weniger als 1993. Betrachtet man aber den gesamten Berufsweg, so hat sich das Ärzte-Einkommen leicht verbessert. Und immer noch verdiene der junge Klinikarzt etwa 450 bis 500 Euro pro Monat mehr als der junge Gymnasiallehrer. Zudem seien, so Spengler, die ersten Klinikjahre „immer noch Lehrjahre“, in denen der Nachwuchs sich zum Facharzt ausbilden lässt oder an der Dissertation arbeitet.

Der Marburger Bund kontert vor allem mit einem Argument: der Abwanderung junger Ärzte ins Ausland. Etwa 6.300 deutsche Mediziner arbeiten derzeit jenseits der Grenze. Zugleich sind rund 5.000 Klinikstellen unbesetzt. Über die Motive der Auslandsärzte allerdings ist wenig bekannt. Ob sie tatsächlich vor allem aus Geldgründen abwanderten oder aus sonstigen Motiven – dazu fehlen präzise Daten.

Umstritten ist auch das Thema Arbeitszeit. Tatsächlich gilt Überlastung als Hauptproblem der jungen Klinikärzte. Im Schnitt arbeiten sie laut Mikrozensus des Statistischen Bundesamt 46,3 Stunden. Dass manche deutlich darüber liegen, dürfte aber teilweise auch im Eigeninteresse liegen. Viele der Zusatzstunden werden extra entlohnt.

Ohnehin vermutet Spengler hinter den erregten Ärzte-Protesten auch ein emotionales Motiv: Die Ärzteschaft, traditionell durch ein „Halbgott in Weiß“-Image verwöhnt, fürchtet die Degradierung zu einem ganz normalen akademischen Beruf. Denn nur mit einem besonderen Ärzte-Status lässt sich rechtfertigen, dass allerorts im öffentlichen Dienst Privilegien fallen, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld angetastet werden – und nur Ärzte von Zugeständnissen an die Finanznot ausgenommen seien sollen.

Denn falls die Ärzte erfolgreich auf mehr Gehalt pochen, drängt das nächste Problem: Wo soll die 30-Prozent-Aufstockung herkommen? Die Etats der Kliniken sind gedeckelt. Erhalten die Ärzte mehr, ohne dass Zusatzgeld fließt, „ginge das zulasten der anderen Berufsgruppen“, so Ver.di-Sprecher Jan Jurczyk. Kürzen bei den Krankenschwestern, damit der Arzt schneller sein Eigenheim abzahlen kann – das wäre dann eine neue Gefahr für den Klinikfrieden.

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