Massenmedium Grammofon

festival Mit „Pop 16“ blickt man im Haus der Kulturen der Welt auf „100 Jahre produzierte Musik“ und plädiert somit für einen erweiterten Popmusikbegriff auf der Grundlage neuer Produktionsverfahren

Der ghanaische Gitarrist Ebo Taylor stellt den in den zwanziger Jahren in seiner Heimat populären Konkoma-Sound als Proto-Highlife vor Foto: J. Hahn

von Thomas Mauch

Die Frage, wann denn nun der Pop auf die Welt gekommen sei, ist natürlich genauso interessant wie der alte Scholastikerstreit über die Frage, wie viele Engel wohl auf eine Nadelspitze passen.

Eine spannende und unterhaltsame Angelegenheit also. Erhellend dabei vor allem im Austausch über die Präzisierung der Fragestellung: was denn Pop ausmacht? Und welcher Pop ist eigentlich gemeint?

Im Haus der Kulturen der Welt (HKW) ist man jedenfalls der Ansicht, dass das mit der Popmusik nicht erst mit dem Rock’n’ Roll begonnen hat. Und plädiert damit für einen erweiterten Popmusikbegriff, der nicht mehr allein diese primär angloamerikanische Musikware im Ohr haben will, die sich so salopp Pop genannt seit den mittfünfziger Jahren über die Welt ausgebreitet hat.

Auf die Anfänge der „produzierten Musik“ blickt man bei „Pop 16“ im Haus der Kulturen der Welt und damit auf frühe Popmusiken aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt. Das macht man mit Lectures, Installationen, der Deutschland-Premiere von American Epic über die erste Aufnahmereise von Musikproduzenten quer durch die USA. Vor allem aber mit Konzerten, die auf Vielstimmigkeit angelegt sind und deren Spektrum von klassisch Arabischem wie auch früher kolumbianischer Populärmusik bis hin zum US-amerikanischen Folk reicht.

„Pop 16 – 100 Jahre produzierte Musik“ Donnerstag bis Sonntag. Abendtickets kosten 14/10 Euro, der Festivalpass 30 Euro: www.hkw.de

Weil da schon einiges ging auch vor dem Hüftschwung von Elvis als Anreger von Popmusik. Bereits vor etwa einem Jahrhundert fand die in die Welt, meint man im HKW mit der Veranstaltungsreihe „Pop 16“. Als stichhaltigsten Grund für diese Annahme verweist man dabei auf die technologischen Entwicklungen, die zu einem entscheidenden Umbruch in der Welt der Musik geführt haben. Nämlich die Möglichkeiten, Musik erstmals überhaupt in Aufnahmen zu konservieren und vervielfältigen zu können – und diese Musik dann via Radio noch einmal weiter zu verbreiten, weltweit, und damit auch Pop auf den Weg zu bringen.

Wobei das Grammofon und damit die Urmutter aller Schallplattenspieler von Emil Berlinger bereits 1887 erfunden wurde. Ein Medium, das sich anfänglich allerdings nur eine sehr ausgewählte begüterte Schicht leisten konnte. Nicht umsonst kommt mit dem Tenor Enrico Caruso der erste Grammofon-Star aus dem klassischen Fach.

Zu einem Massenmedium wurde das Grammofon erst ab den Zehnerjahren des vergangenen Jahrhunderts und damit zum Taktgeber einer neuen kollektiven Ästhetik eben durch die Reproduzierbarkeit. Weil, wie Walter Benjamin in seinem Kunstwerkaufsatz schrieb, die Kunst und ihre Rezeption selbst durch die (damals) neuen Medien einem Wandel unterworfen sind. Und dass die Musik reproduziert werden konnte, reflektierte wiederum auf die Produktion von Musik.

Diesem Wandel und den Wechselwirkungen will man in „Pop 16 – 100 Jahre produzierte Musik“ nachgehen. Eine Rückschau auf das Schellack-Zeitalter mit musikalischen Rekonstruktionen, in denen man das Ohr in die durchaus unterschiedlichen Kollektive dieser neuen „kollektiven Ästhetik“, Popmusik also, in den verschiedenen Ecken der Welt hält. Um damit auch hörbar zu machen, wie mit der Globalisierung des Grammofons und der weltweiten Verbreitung von damals sehr populären Musiken wie etwa Swing oder lateinamerikanischen Tänzen im Zusammentreffen mit lokalen Traditionen wiederum neue Popmusiken entstanden.

Neue technologische Entwicklungen führten zum entscheidenden Umbruch

Am Freitag ist so beispielsweise mit dem Mała Orkiestra Dancingowa zu hören, wozu man im kosmopolitischen Warschau zwischen den Weltkriegen gern tanzte, nämlich eine spezifisch polnische Musik, in der sich die aus Westeuropa und Amerika gekommenen Trendmusiken der Zeit mit jüdischen Musiktraditionen vereinten. Davor lässt die japanische Musikerin Miharu Koshi aus dem Umfeld des Yellow Magic Orchestra an ihrer Leidenschaft für die europäischen Cabaret-Lieder der Roaring Twenties teilhaben, und am Donnerstag zum Auftakt der bis Sonntag dauernden Veranstaltungsreihe stellt der ghanaische Gitarrist Ebo Taylor den in den zwanziger Jahren in seiner Heimat populären Konkoma-Sound als Proto-Highlife vor.

Letztlich geht es bei „Pop 16“ um Grenzüberschreitungen und wie sich dabei verschiedene Traditionen und Hörweisen aneinanderreiben, wobei daraus Neues entsteht. Und dass man immer mal wieder gern zu einem frischen Sound tanzte. Popmusik eben. War schon damals so.