: Der verlorene Sohn
Theater Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ im Krankenbett: Stephan Kimmigs Dramatisierung am Deutschen Theater Berlin konzentriert sich aufs Private statt auf die gesellschaftlichen Dimensionen
von Simone Kaempf
Sein Körper quält ihn. Die Glieder zucken, wenn der Mann im Arztkittel die Entzündungen an den Füßen abtupft. Schmerzen halten ihn schlaflos in der Nacht. Der Körper, einst zuverlässige Quelle der Lust, ist für ihn, François, Literaturdozent an der Pariser Sorbonne, Erzähler in Houellebecqs „Unterwerfung“ zur Quelle des Leidens geworden. Und damit symbolisch zum i-Tüpfelchen existenzieller Sinnlosigkeit, eines totalen körperlichen wie mentalen Stillstands nach einst ausgelebter Frivolität.
Um François herum bewegt sich die Welt: Die Freundin ist im Begriff, sich nach Israel in Sicherheit zu bringen, die Wahlergebnisse künden von neuen gesellschaftlichen Machtverhältnissen, der muslimische Ben Abbes schafft es zum Präsidentschaftskandidaten. Viele Umbrüche sind es, die Houellebecqs François in der Dramatisierung des Romans am Deutschen Theater Berlin erlebt und nahe an Grenzen des Wahnsinns rückt. Nicht eines politischen Wahnsinns, aber an pathologische Isoliertheit, auf die sich der Abend im Nervenheilanstalts-Ambiente konzentriert.
Mit seiner Verführung zum Extremismus, seiner metaphysisch leeren und erlösungsbedürftigen Hauptfigur ist „Unterwerfung“ als politisch aufgeladener Stoff attraktiv für die Theater. Stoff der Stunde, um mit Houellebecqs in den Islam driftenden Ich-Erzähler Einblick zu geben ins Innenleben eines frustrierten westeuropäischen Intellektuellen.
Nach großen Häusern in Hamburg, Dresden, Wien hat nun in Berlin der Regisseur Stephan Kimmig den Roman bearbeitet. Und mit Steven Scharf einen Schauspieler, der die Einsamkeit der Figur nochmal extra-quälend ausspielt.
Mit spießiger Brille und braunem Lederblouson tritt Scharf auf. Schnippt Monologfetzen vom Überleben, Beten, Lebensekel heraus, an die er selbst kaum zu glauben scheint. Er lässt keine Zweifel, dass hier ein Nerd spricht, der den Kontakt nach außen verloren hat. Er wirkt wie ein zu groß geratenes Kind, das einst zu viel Computer spielte und nun naiv, einsam und frustriert von der Regie ins Krankenbett gelegt wird. Dieses Metallbett steht ganz im Zentrum der Bühne. Über weite Strecken liegt Scharf dort, körperlich auf kleinsten Radius reduziert.
Kimmig fährt dick auf
In den Arbeiten von Regisseur Kimmig spielen die Vereinzelung des Individuums, bröckelnder emotionaler und gesellschaftlicher Halt immer wieder eine Rolle. „Unterwerfung“ reiht sich nahtlos ein als Psychogramm einer Zerrüttung. Man schaut mit Laborblick zu, wie die Spezies Mensch ihrem metaphysischen Leid preisgegeben ist. Allerdings fährt Kimmig ziemlich dick auf, um die Isolation zu verstärken.
Wie ein aseptisch-medizinischer Schmerzensraum wirkt der große Bühnenraum von Katja Haß: eine Glasglocke, in die Geräusche und Lichter dumpf von fern eindringen. Dass die Schauspieler über Microports sprechen, verstärkt die abgekapselt-blasige Stimmung. Und wie im Krankenhaus öffnen sich immer wieder lautlos Schiebetüren für weißbekitteltes Personal.
Kimmig stellt seinem François Krankenpfleger und Ärzte zur Seite, die in die weiteren Rollen des Romans schlüpfen. Wie Stichwortgeber tragen sie von außen die Entwicklungen und die neue islamische Realität herein. Doch je mehr Realitätssplitter sie einwerfen, umso autistischer reagiert Scharfs François. Spricht der Physiotherapeut auf dem Medizinball sitzend von Religion, antwortet er unfreiwillig komisch mit Erzählungen vom Escort-Service.
Kimmig scheut sich auch nicht, den diagnostischen Blick mit religiösen Pathosbildern zu kreuzen: Die Schauspieler ziehen in einer Prozession mit der Schauspielerin Lorna Ishema als Madonna auf einen Bollerwagen über die Bühne. Zur Bekehrung François’ reicht das nicht. Oder entspricht alles eh nur seinen Albträumen, Ängsten und Obsessionen? Kimmig lässt das offen, tickt Vieles an. Das eigentliche Dilemma des Abends offenbart sich in der zunehmenden Verkapselung seiner Hauptfigur, als hätte er mit den gesellschaftlichen Entwicklungen rein gar nichts zu tun. Ganz anders, als man es aus Houellebecqs Roman kennt.
Von der eloquenten Überzeugungskraft, die ihn im Roman so faszinierend macht, bleibt wenig übrig, außer einem wahnhaft leidenden Menschen. Am Ende legt sich der neue muslimische Präsident in Löffelchenstellung zum verlorenen Sohn François. Flüstert sein Wahlprogramm wie einen Liebesschwur, verspricht, dass das neue Regime nur angenehme Überraschungen bereit hält. Die islamische Eroberung mithilfe romantischer Fantasie, nicht als gefürchtetes Blutbad? Ein Schreckensszenario, das am Ende einen starken Punkt setzt ins zäh werdende Leidenslamento.
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