Berliner Szenen
: In der Mitte

Lennart und die AfD

Das heißt also „in der Mitte der Gesellschaft ankommen“

Es fing alles ganz lustig an irgendwann im letzten Herbst. „Mama, die von der AfD sind doch die Antifaschisten, oder?“ Das Kind ist zehn und beginnt gerade, in der Zeitung mehr als die Sportseiten zu lesen. Also gut, ein kleiner elterlicher Kurzvortrag über die deutsche Parteienlandschaft folgt, und das war’s, denn es kommen interessantere Ereignisse: Weihnachten, Geburtstag und der Start der Bundesliga-Rückrunde.

Im März stirbt Guido Westerwelle. Wenig später Hans-Dietrich Genscher. Verwirrt sitzt das Kind vor der „Tagesschau“. „Was ist denn diese FDP? Ist das auch’ne Partei?“ Manchmal vergisst man als Erwachsener ja, in welch kurzen Zeitetappen Kinder noch unterwegs sind. Die FDP war in den letzten zwei Jahren nicht wirklich im Geschäft und in den Medien. Jedenfalls nicht so wie die AfD.

Das alles beschäftigt das Kind mehr, als ich dachte. Heute Morgen um Viertel nach sieben, ich noch nicht ganz wach, Kind schon mit Schultasche auf dem Rücken: „Mama, ich wollte dir noch schnell was erzählen. Lennarts Vater wählt die AfD. Und seine Oma auch.“

Das heißt also „in der Mitte der Gesellschaft ankommen“, fährt es mir durch den Kopf. Und bevor ich überhaupt etwas sagen kann, geht es schon weiter. „In seinem Arbeitszimmer hängt ein Bild von Hitler, da steht drunter ‚Na, habt ihr mich vermisst?‘ “ „Woher weißt du das denn“, frage ich schnell dazwischen. „Hat Lennart in der Schule erzählt. Ist das schlimm?“

„Ja, das ist schlimm“, schaltet sich jetzt mein Mann ein, der die letzten Sätze gehört hat. „Ist es denn verboten, ein Hitlerbild aufzuhängen“, fragt das Kind, und: „Sind Lennarts Eltern Nazis? Die sind doch keine Nazis, oder? Dann würden die doch die NPD wählen.“ Wir: „Nazi ist man nicht nur, wenn man die NPD wählt.“

Das Kind denkt kurz nach. „Also, ich fand das ja auch komisch, als er das erzählt hat. Darf ich jetzt nicht mehr mit Lennart spielen?“ Gaby Coldewey