KOMMENTAR
: Ans rettende Ufer

In der Hamburger Schulpolitik wird noch immer zu sehr auf die Gymnasial-Lobby gehört

Ist das Zwei-Säulen-Modell in Hamburg gescheitert? Droht die Stadtteilschule zur Restschule neben dem Gymnasium zu verkümmern? Brauchen wir eine neue, offene Diskussion über Schulstrukturen? Oder ist die Schulreform doch erfolgreicher, als sie wahrgenommen wird?

Die Stadtteilschulen haben ihre Oberstufen ausgebaut, führen immer mehr Kinder zum Abitur. Auch die Zahl der Schüler ganz ohne Abschluss hat sich binnen zehn Jahren fast halbiert. Die Bildungsbeteiligung wächst also. Es gibt sehr erfolgreiche Stadtteilschulen, die Orte innovativer Pädagogik sind. Und dass diese Schulform so viele Abiturienten hervorbringt: ein grandioser Erfolg, der der Prog­nosekraft der ach so begehrten Gymnasialempfehlung Lügen straft.

Und doch sehen immer mehr Eltern das klassische Gymnasium als rettendes Ufer, an das zu gelangen für ihre Kinder überlebenswichtig scheint. Und der Staat macht ihnen eine Art unmoralisches Angebot: Schickt doch eure Kinder dorthin, wo es weniger Probleme gibt. Wo es so eine Option gibt, wird sie auch genutzt – dass wir in unserer Gesellschaft alle miteinander klarkommen müssen, dass Vielfalt eine Bereicherung ist, wird dabei verkannt.

Hinzu kommt: Die Stadtteilschule ist in einer unglücklichen Position. Denn noch immer gibt die Gymnasial-Lobby um den einstigen Primarschul-Schlächter Walter Scheuerl politisch den Ton an. Mit CDU und FDP schießt sich ein Teil der Opposition auf die noch junge Schulform ein – und schont das Gymnasium. Und die rot-grüne Regierung macht keine linke Schulpolitik. Dafür steigt der Druck, auch an den Stadtteilschulen wieder mehr getrennt zu unterrichten, statt individuell zu fördern. Kleine Quasi-Gymnasiumskurse sollen die begehrte Klientel anlocken.

Es fehlt ein Gegengewicht. Trotz der Erfolge der Stadtteilschulen gibt es immer noch viel zu viele Schüler, die nachher ohne Lehrstelle in Übergangsmaßnahmen gehen müssen. Es ist nicht einzusehen, dass die Gymnasien von der Aufgabe der Inklusion ausgenommen sind. Die Vision einer „Schule für alle Kinder“, die nicht schon mit zehn Jahren trennt, gilt seit dem verlorenen Schulreform-Volksentscheid vielen als Teufelswerk.

Hamburg hat zu viel Schulfrieden. Vielleicht richtig, ihn aufzukündigen. Kaija Kutter