Eberswalde, eine Stadt, in der man atmen kann

ORTSTERMIN Polnische und deutsche Jugendliche performen im Zwangsarbeiterinnenlager

In der Außenstelle des KZ Ravensbrück Foto: Ulrich Wessollek

Nach all dem hysterischen Gerede der letzten Monate über Umvolkung und Obergrenzen, tut es gut, nach Eberswalde zu fahren. Die Stadt von Amadeu Antonio hat nach dem Nazimord an dem angolanischen Vertragsarbeiter daran gearbeitet, ein freier Ort zu sein. Im Zusammenspiel von Zivilgesellschaft und Staatsgewalt, vor allem aber beginnend mit dem Eingeständnis, dass man ein massives Problem mit neonazistischen Gesinnungen, Strukturen und Gewalttätern hat, ist in den vergangenen 25 Jahren eine Stadtgesellschaft gewachsen, in der man atmen kann.

Ein Teil davon ist das „Exil“, ein Kulturzentrum auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers Eberswalde des KZ Ravensbrück. Von den acht Baracken des Zwangsarbeiterinnenlagers sind zwei übrig geblieben. Eine Brache breitet sich aus, wo von September 1944 bis April 1945 bis zu 800 Frauen zur Zwangsarbeit in die heute gespenstisch leer stehenden Werkshalle der Firma Ardelt gepresst wurden. Im Lager herrschten Gewalt und Hunger, in den Werken hatten die Gefangenen mörderische Arbeit für die deutsche Rüstungsindustrie zu leisten.

In der Regie von Heike Scharpff vom Kanaltheater – der Hausgruppe im „Exil“ – hat nun am Samstag eine deutsch-polnische Jugendgruppe die Erinnerungen dreier polnischer Zwangsarbeiterinnen in einer „performativen Begehung“ vergegenwärtigt. Die Zuschauer folgen dem Chor der Jugendlichen, die angeführt von einer professionellen Sprecherin die historische Dimension des Ortes kenntlich machen – von dem noch existierenden Waschhaus und der Latrine über den mit tragbaren Stahlelementen versinnbildlichten einstigen starkstromgeladenen Stacheldrahtzaun bis zur bedrückend-imposanten Ardelt-Produktionshalle.

Die Jugendlichen führen auf Deutsch und Polnisch durch das Gelände, hochkonzentriert, in einem bemerkenswert klaren Tonfall. Kein Hass mehr – Nie ma już nienawiści:Das wurde zum Motto der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen, als sie den Ort ihrer Leiden auf Einladung der „Exil“-Leute vor zehn Jahren besuchten. Die Jugendlichen übernehmen es in ihre Performance. In ihrer Aufführung wird es Realität – und Aufforderung: an Eberswalde, aber vor allem an alle, die frei atmen wollen. AW