Mogli ist wieder im Film-Dschungel unterwegs. Aber die Gefahr lauert inzwischen woanders
: Wenn Shir Khan plötzlich recht hat

Wir retten die Welt

von

Bernhard Pötter

Am besten gefiel mir immer die Morgenpatrouille: Wenn Colonel Hathi mit seinen Elefanten durch den Wald stampfte und so die britische Kolonialarmee mit ihrem Drill ins Lächerliche zog. Und klar, Balus Hymne vom superfaulen Hedonisten: „The Bare Necessities“ („Probier’s mal mit Gemütlichkeit“) heißt der Song im Disney-Original – schönes Wortspiel und eine Absage an unsere Konsumkultur. Das „Dschungelbuch“ ist ein Klassiker mit Spannung, Witz, prima Musik und einem Kampf zwischen Moglis guten Freunden und dem fiesen Tiger Shir Khan, der natürlich gut ausgeht. Oder? Na ja, am Ende muss das Menschenkind seine Tierkumpel verlassen und zu seinen Artgenossen zurückkehren.

Jetzt ist das „Dschungelbuch“ wieder da: Neu, computeranimiert und 3-D, schneller, härter und düsterer, wenn man dem Trailer glaubt. Und ich ertappe mich bei einem furchtbaren Gedanken: Shir Khan hat recht. Der hinterlistige, brutale Killer jagt Mogli, weil das Menschenkind seine Macht bedroht und im Dschungel alles durcheinander bringt. Der Tiger wittert hinter der kindlichen Unschuld in roter Unterhose die Gefahr, die der Mensch für sein Tierreich darstellt.

Selten hat eine Raubkatze so gute Instinkte bewiesen wie Shir Khan. Seit Erscheinen des „Dschungelbuchs“ von Rudyard Kipling im Jahr 1894 wurden die tropischen Regenwälder von einstmals 20 Prozent der Erdoberfläche auf 7 Prozent weggeholzt. Der Bestand der Tiger ist von 100.000 auf 3.500 geschrumpft. Dass der Affenkönig King Louie („Ich wäre so gern wie Du-hu-hu“) von Mogli lernen will, wie man Feuer macht, ist eine bittere Ironie. Denn gerade Orang Utans wie Louie verbrennen mit ihren Kindern in den Wäldern Sumatras und Borneos in den Flammen gieriger Palmölproduzenten.

Mogli trifft keine Schuld. Er gehört zu den Menschen, die im und vom Wald leben. Und die werden vom gefräßigen Konsumkapitalismus genauso brutal zur Seite geschubst wie die Balus, Baghiras, Kas und Shir Khans. Die Hilfsorganisation Survival International weist zum Filmstart darauf hin, dass in ganz Indien indigene Völker ihr Land verlieren – teilweise, um aus ihrem Land Tigerreservate zu machen, die Touristen anlocken sollen. Hunderte Menschen der Baiga und Gond-Völker seien im Jahr 2014 aus dem Kanha-Tigerreservat vertrieben worden, das Kipling als Vorlage für seinen Roman diente.

Menschen raus! Das hätte Shir Khan wohl erst mal gefallen. Aber die immer engeren Lebensräume für wilde Tiere können auch einem fiesen Tiger nicht recht sein. Ohnehin ist unsere Begeisterung für das edle wilde Leben im Dschungel nur die Kehrseite davon, dass wir die Wildnis überall abschaffen. Von ein paar unzugänglichen Eishöhlen in der Antarktis abgesehen, ist inzwischen kein Fleck der Erde mehr sicher vor Besuchern in Goretex-Jacken. Wir erleben Natur nur noch als Kitschkulisse – oder als Bedrohung: Alle bibbern vor dem „Weißen Hai“, niemand interessiert sich für das millionenfache Abschlachten der intelligenten Räuber.

Das „Dschungelbuch“ bleibt eine tolle Geschichte, hundertmal besser jedenfalls als das „Dschungelcamp“, in dem abgebrannte Stimmungsraketen vor Gruselkulisse zwischengelagert werden. Aber wer den Überlebenskampf von Mogli verfolgt, sollte sich daran erinnern, dass inzwischen eher die Tiger, Bären, Elefanten, Affen und Schlangen (von den unappetitlichen Fliegen, Mücken, Würmern und Käfern mal abgesehen) bedroht sind. Wir sollten den Film ruhig genießen, aber uns daran erinnern, was wir wirklich brauchen: mehr Wald und weniger Disney.