Ein Hang zum Hässlichen

Architektur Diese Videoinstallation könnte Teile der Bevölkerung enttäuschen: Das Künstlerduo Daniel Young/Christian Giroux hat Berlin abgescannt – also jede Menge Eigenheimsiedlungen, Gewerbeparks und Baracken

Was hat sich in den 30 Jahren verändert? Welches waren und sind die architektonischen Moden? Darüber kann man in der Schau sinnieren Foto: Abbildung: DAZ

von Ronald Berg

Vorsicht! Diese Videoinstallation könnte Teile der Bevölkerung enttäuschen. Das gibt Daniel Young, immerhin mitverantwortlich für diese Schau, selbst zu bedenken. Dabei muss man das Wort „enttäuschen“ hier wohl wörtlich nehmen. Denn in dem rund zweistündigen Video-Loop zum Abbild des gebauten Berlins, den Young und sein Künstlerkompagnon Christian Giroux entworfen haben, kommen die Wahrzeichen, die sonst das Image der Stadt liefern, kaum in den Blick. Und wenn, dann nur in gleicher Relevanz wie Lagerbaracken, Einfamilienhäuschen oder Schrebergartenlauben. Das Brandenburger Tor oder der Fernsehturm fehlen gleich ganz.

Denn Young und Giroux haben sich zum einen allein auf Gebäude konzentriert, die 2013 fertiggestellt wurden oder eine Generation zuvor im Jahre 1983. Wobei die Recherche zur letzteren Gruppe – zumal wenn sie im Ostteil Berlins liegen – sehr viel schwieriger ausfiel. Hier wurden nicht nur Bebauungspläne vergleichen, sondern auch Luftbilder zur Identifikation ausgewertet. Denn der Anspruch von Young und Giroux war es tatsächlich, alle Gebäude mit besagtem Fertigstellungsdaten innerhalb des Berliner Stadtgebiets komplett und flächendeckend zu erfassen.

Dieser Ansatz des seit 2002 kooperierenden Künstlerduos aus Kanada erinnert in die Methode an das berühmte „Every Building on the Sunset Strip“, bei dem der kalifornische Künstler Ed Rudscha 1966 sämtliche Bauten der Straße fotografisch erfasste und als Leporello veröffentlichte. Young und Giroux haben die Methode ins Videografische übersetzt und in den heimatlichen Gefilden Kanadas auch schon in vergleichsweise großem Maßstab durchexerziert, zum Beispiel bei Gebäuden in Toronto („Every Building, or Site, that a Building Permit was Issued for a New Building in Toronto in 2006“).

Zur Dokumentation „Berlin 2013/1983“ brauchten die Künstler mehr als drei Monate. Im Grunde haben Young/Giroux Berlin mit der Kamera abgescannt. Sie fingen an der Stadtgrenze im Norden an und arbeiteten sich dann Planquadrat für Planquadrat nach Süden hin vor. Alle zuvor auf der Karte erfassten Gebäude aus dem Jahren 2013 und 1983 wurden mit einer Filmkamera aufgenommen, egal ob Fabrik, Wohngebäude, Eigenheim oder Gartenlaube. 1.500 Gebäude sind so zusammengekommen. In der Videoinstallation im Deutschen Architekturzentrum (DAZ) werden die so entstandenen, leicht bewegten Standbilder, in denen sprunghaft Wolken vorüberziehen oder Radfahrer durchs Bild ruckeln, jeweils als Paar präsentiert: links die Beispiele von 2013, rechts die aus 1983.

In dieser Gegenüberstellung lassen sich nun allerlei Vergleiche anstellen, auch wenn der unablässige, aber stumme Strom der alle paar Sekunden wechselnden Bilder den Zuschauer fast in eine Art Trance versetzt. Gerade die völlige Abwesenheit jeglicher Wertungen – alle Gebäude sind mit dem gleichen Bemühen um sachliche Objektivität aufgenommen – lässt den Betrachter sinnieren: Was hat sich in den 30 Jahren verändert? Welches sind die Verluste? Was waren und was sind die architektonischen Moden?

Einige Antworten sind augenscheinlich. Etwa die Entwicklung zum Eigenheim aus dem Katalog, die es so stark 1983 noch nicht gab – schon gar nicht im Osten. Und damit einhergehend der flächendeckende Hang zum Hässlichen. Die Mangelwirtschaft des Osten mit ihren Improvisationen Marke Eigenbau war da ästhetisch gesehen dem heutigen Zustand in der Suburbia so überlegen, wie sie in technischer Hinsicht unterlegen sein musste. Youngs/Giroux’ Phänomenologie des Gebauten liefert qua Methode unendlich viel Material, das einem die Augen öffnet: Die Transformation von Moden, Möglichkeiten und Materialien werden plötzlich sichtbar.

Vor allem aber: Das architektonische Berlin erscheint hier erstmals in quantitativ richtiger Proportionalität. Die banale Peripherie aus Eigenheimsiedlungen, Gewerbeparks und Schrebergartenkolonien überwiegt das Zentrum mit seinen paar prominenten Bauten um ein Vielfaches. Berlin ist daher bei Young und Giroux ein Hort des Grobschlächtigen, Banalen und Spießigen. Und das gilt wahrscheinlich nicht nur für die Jahre 2013/1983: Berlin ist beileibe kein Ort der Idylle und der Wohlgestalt. Auch wenn den Kanadiern an Berlin vor allem aufgefallen ist, dass beim Bauen auf alten Baumbestand Rücksicht genommen wird. Immerhin.

Bis 19. Juni, DAZ, Köpenicker Str. 48/49, Mi. bis So. 9–19 Uhr