Warum wir unsere ethischen Prinzipien mal schleifen lassen können, KonzernE wie Apple aber nicht
: Kleine Fluchten

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Wir retten die WeltVonHannesKoch

Wenn ich nachts ausgehe, lasse ich gern das Licht zu Hause an. Damit der Kater keine Angst bekommt, keine Einbrecher einsteigen oder damit es nicht so einsam aussieht, wenn ich zurückkomme. Um mich zu rechtfertigen, denke ich dann: Sei mal nicht päpstlicher als der Papst. Die paar Kilowattstunden werden Bangladesch schon nicht im Meer versinken lassen.

Fast jeder braucht kleine Fluchten von seinen Überzeugungen. Außer Hardcore-Preußen in Sachen Konsequenz – wie etwa die Frau aus Thüringen, die kürzlich ins Gefängnis ging, um nicht die Rundfunkgebühr von 17,50 Euro im Monat bezahlen zu müssen.

Selbst meine ökologisch sehr bewusste und konsumkritische 19-jährige Tochter hat sich kürzlich wieder einen iPod gekauft. Nicht neu, gebraucht. „Das ist nachhaltiger. Sonst werden die alten Dinger zu früh weggeworfen“, begründet sie das. Und außerdem: Faire iPods gebe es nicht. Bei anderen Konzernen seien die Arbeitsbedingungen ähnlich mies. Trotzdem: Das Gerät ist von Apple. Und so etwas will man als aufrechter Mensch eigentlich nicht mal anfassen.

Oder?

Der neue Fortschrittsbericht von Apple liest sich wie eine aktuelle Ausgabe der Erklärung der Menschenrechte. Dort heißt es: „Jeder Beschäftigte verdient mit Würde und Respekt behandelt zu werden.“ Für 97 Prozent der Arbeitnehmer werde nun die Maximalarbeitszeit von 60 Stunden pro Woche eingehalten. Diese Obergrenze haben die Vereinten Nationen festgelegt. 97 sind fast 100 Prozent. Eine hohe Zahl, klingt eindrucksvoll. Der Rest, nur 3 Prozent, nur ganz knapp am Ziel vorbei? Lassen wir Apple-Chef Tim Cook diese kleine Flucht durchgehen?

Hinter der 3 verbirgt sich eine größere Zahl: 48.000. So viel sind 3 Prozent – hochgerechnet auf die 1,6 Millionen Beschäftigten in den weltweiten Apple-Zulieferfirmen. Für knapp 50.000 Leute bei Apple gilt also das internationale Recht nicht. Sie müssen auch mal 90 Stunden pro Woche in den chinesischen Fabriken arbeiten – dreimal so lang, wie viele deutsche Arbeitnehmer es inzwischen für angenehm halten. Wie verlogen muss ein Chefmanager sein, um das mit einem Lächeln als Erfolg zu kommunizieren?

Wenn Apple Ende April seine neuen Vierteljahrszahlen veröffentlicht, wird wieder ein Gewinn von schätzungsweise 15 Milliarden Euro verkündet. Mit ein paar hundert Millionen ließe sich das Problem der zu langen Arbeitszeiten beheben.

So denke und rede ich daher. Allerdings: Warum sollen für Konzerne wie Apple höhere Maßstäbe an Ethik gelten als für mich selbst? Es geht hier nicht um Moral, sondern um Recht. Ob jemand ein guter Mensch sein will, kann er oder sie selbst entscheiden.

Unternehmen aber, die die Lebensumstände Zehntausender Menschen bestimmen, darf man Ausnahmen grundsätzlich nicht durchgehen lassen. Sonst könnten wir die Konventionen der Interna­tio­nalen Arbeitsorganisation und die Beschlüsse der Vereinten Nationen gleich auf den Müll werfen. Das Strafgesetzbuch kennt auch kein Schlupfloch, bei dem Raub straffrei bliebe.

Puh, Glück gehabt. Was bin ich froh, dass es für meinen Alltag nicht die ganz harten Regeln gibt. Für meine Moral bin ich selbst zuständig. Das macht es mir leichter, am nächsten Samstag wieder mit dem Auto zum 1,5 Kilometer entfernten Supermarkt zu fahren und nicht mit dem Rad.