Klaus-Helge Donath über Putins jährlicheN Dialog mit dem Volk: Ganz große Theaterkunst
Präsident Putin hat alles im Griff. Diesen Eindruck vermittelte der Kremlchef auch bei seiner 14. „Direkten Linie“. Einmal im Jahr lässt sich der Kreml auf einen Dialog mit dem Volk ein, der auf allen Kanälen ausgestrahlt wird. Es ist ein gestellter Austausch, woran in Russland auch nur wenige zweifeln. Selbst die überwältigende Mehrheit der präsidialen Fangemeinde würde das nicht in Abrede stellen. Das Ritual ist Bestandteil eingefahrener Herrschaftsausübung.
Als noch kompetenter, weitsichtiger und handlungsfähiger als die politisch Verantwortlichen erweist sich dabei die wachsende Gemeinde der PR-Regisseure. Mit jedem Jahr legt sie an Professionalität zu und liefert Inszenierungen, die die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Virtualität verwischen, Wahrheit und Lüge endgültig austauschbar machen. Diese Propagandaprofis gehören zu den letzten Kräften, denen der autoritäre Staat Kreativität noch nicht verbietet.
Wer nicht, wie der misstrauische Durchschnittsrusse, grundsätzlich an allem zweifelt, geht diesem Schauspiel auf den Leim. Es ist die große Kunst des russischen Theaters, die immer dann über sich hinauswächst, wenn sich tektonische Verschiebungen abzeichnen.
Erste Verwerfungen sind derzeit nur in Ansätzen zu erkennen. Wenn kremlnahe Soziologen der Führung raten, die Schwierigkeiten nicht weiter schönzureden. Worte gegen Taten einzutauschen, überhaupt etwas zu unternehmen. Präsident Putin tut sich schwer, die Zeichen der Krise zu erkennen. Niemand würde es in seinem Umfeld wagen, statt von einer wirtschaftlichen gar von einer Systemkrise zu sprechen.
Letztlich ist Putin als Energiebaron für die Abhängigkeit vom Rohstoffsektor verantwortlich; auch die internationale Isolation und Russlands Ende als vertrauenswürdige Großmacht sind Folgen persönlichen Eigennutzes. Die Leugnung der Wirklichkeit wird Russland noch teuer zu stehen kommen.
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