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Madrid macht's mit Moral

Champions League Atlético schlägt Barça 2:0 und will den Titel, den es vor zwei Jahren verpasste

MADRID taz | Diego „Cholo“ Simeone sprang rhythmisch die Seitenlinie entlang, er ruderte wild mit den Armen. Die Nachspielzeit begann. Der Trainer verlangte noch mehr Volt, einen letzten Einsatz der Fans im Estadio Vicente Calderón an der Madrider Stadtautobahn, durch das immer noch dieser Hauch von altem Fußball weht. Null Komfort, dafür Hardrock in der Halbzeitpause. Und viel Leidenschaft mit hypnotischen Gesängen.

Es ist ein beeindruckend stimmiges Werk, das der Argentinier in seinen vier Jahren bei Atlético geschaffen hat – und das er nun einer neuen Sternstunde zuführte. Wie schon vor zwei Jahren wurde im Champions-League-Viertelfinale der FC Barcelona eliminiert. 2:0. Mit einem Bruchteil des Budgets, mit eiserner Defensive, mit dem doppelten Torschützen Antoine Griezmann, aber vor allem mit dieser unverrückbaren Haltung, die sie in Madrid den „Cholismo“ nennen. Atlético ist gewiss keine Augenweide, zumindest nicht im klassischen Sinne. Aber man kann sich hinreißen lassen von dieser perfekten Einheit, der Choreografie des Trainers.

Simeone hat kein Problem damit, das alles noch ein wenig zu überhöhen. „Ich freue mich über das Halbfinale, aber was heute geschehen ist, bedeutet mehr“, sagte er später. „Wir glauben an die Werte des Lebens und daran, sie über den Fußball zu transportieren.“ Konkret? „Respekt, Durchhaltevermögen, immer wieder aufzustehen, es immer wieder zu versuchen, auch wenn andere besser sind.“

Das Viertelfinale gegen Barça bot insofern tatsächlich ein Lehrstück. Im Hinspiel erwirtschaftete Atlético durch schiere Resistenz während einer Stunde Unterzahl ein vergleichsweise knappes 1:2. Auch zu Hause fügte es sich ohne Komplexe in seine fußballerische Unterlegenheit und überließ Barça die Initiative. Bei 29 zu 71 Prozent lagen am Ende die Ballbesitzquoten. Doch nie war diese Statistik steriler als während des Nichtangriffspakts der ersten Halbzeit, als Barça nur verwaltete, derweil Atlético auf den einen, entscheidenden Fehler wartete. Er kam in der 36. Minute. Linksverteidiger Jordi Alba klärte einen Ball blind nach vorn, der spanische Jungnationalspieler Saúl Ñíguez flankte mit dem ­Außenrist, Griezmann köpfte ein.

Der 25-jährige Elsässer besorgte per Handelfmeter kurz vor Schluss auch das zweite Tor, das allerdings womöglich nur zur Verlängerung gereicht hätte, wäre Schiedsrichter Nicola Rizzoli nicht der Macht der cholistischen Inszenierung erlegen und hätte ein Handspiel von Kapitän Gabi in der Nachspielzeit außerhalb des Strafraums verlegt. Die Partie war da längst zum Thriller mutiert. Barça schnürte Atlético ein und demonstrierte zumindest ansatzweise, warum es die letzten sieben Aufeinandertreffen allesamt gewonnen hatte. Diesmal jedoch fehlte der Punch.

Es fehlten außerdem: die Frische im bereits 55. Saisonspiel (Atlético: 48, Real Madrid: 43, Bayern: 44), die Dominanz von Sergio Busquets im Mittelfeld und vor allem der Beitrag von Lionel Messi und Neymar.

Atlético hingegen strebt nun den Titel an, den es vor zwei Jahren gegen Real nur um zwei Minuten verpasste. An den Fans wird es nichts scheitern. Eine Viertelstunde nach Abpfiff sangen sie immer noch ihre Lieder, nicht ein paar, das ganze Stadion. Bis ihre Helden noch einmal aus der Kabine kamen für eine letzte Ovation.

Florian Haupt

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