Berliner Szenen
: Beförderungsentgelt

Ist nicht egal

Mein Fall ist äußerst heikel, scheint es, und es wird eifrig beraten

Eine perfekte Gewaltmaschine zur verschleißarmen Verarbeitung von sich Fehlverhaltenden wie in Kafkas „Strafkolonie“ hat die mächtige, größenwahnsinnige Coolnessfabrik und Verdauungsapparatur „BVG“ nicht.

Noch nicht. Vorläufig reicht ihr auch der Ostbahnhof. Dahin, raunzten mich frühmorgendlich zwei Knipser an, solle ich gehen, um mein Anliegen vorzutragen. Günstiger wollte ich fahren, und dass ich das durfte, hatte ich sogar schriftlich. Doch den beiden Richtigkeitshörnchen war das egal, bzw. war es ihnen eben nicht egal. Ein sinnloser, bürokratischer Akt, der höheren Mathematik zugehörig, fehlte ihnen: eine „Trägerkarte“, und das klang an sich schon verdächtig doll nach Keim, Krankheit und Tod. Da half nur der Gesichtsausdruck, der vorgibt, die dreieinhalb Liter großen Tränensäcke würden im nächsten Moment platzen und das Gegenüber voll vollschwallen.

Oberhalb des gewöhnlichen Buchungsbetriebs und der normalen Ostbahnhofswelt gibt es ein Büro für Fälle, in denen „erhöhtes Beförderungsentgelt“ entrichtet werden soll. Die Welt muss einem schon ziemlich egal sein, damit man sich auf der menschenleeren Rolltreppe dort hinauf nicht ein bisschen stigmatisiert fühlt.

Mein Fall ist äußerst heikel, scheint es, und es wird eifrig beraten. Vielleicht suggeriert mein leerer Blick, mein Schweigen, es sei mir egal – was der Mentalität der Schalterfrauen dort im Allgemeinen vielleicht gut entspricht. Warum sie meinen Presseausweis lochten, frage ich mich allerdings bis heute.

Als ich endlich rauskomme, ist mir alles egal. Mein Blick fällt auf eine riesige Werbetafel, die einzig die sehen können, die das Sühnebüro verlassen. Auf ihr steht, man solle doch einen Kaffee trinken im örtlichen Café: zur Aufmunterung.

Nur knapp verpasse ich die S-Bahn nach Westen. Ist mir egal. Ich geh zu Fuß. Adrian Schulz