AUCH ZURÜCK IN BERLIN KLAMMERT MAN SICH NOCH ANEINANDER
: Im cosy Gruppenmodus

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Wenn man gerade von einer zwölftägigen Israel-Reise zurückgekommen ist, zu der einen die Bundeszentrale für politische Bildung mitgenommen hat, dann ist man verwirrt und aufgewühlt und hat einen Reisekater. Die Lösung des Nahostkonflikts ist in unendliche Ferne gerückt. Den militant nationalistischen Rapper Subliminal mit seinem Bling-Bling-Davidstern um den Hals kann man genauso gut verstehen wie den in kalter Wut gärenden radikal antizionistischen Rapper Boikutt aus Ramallah. Man hat die unterirdischen Extrastraßen für die Palästinenser gesehen und Jad Vaschem, ständig ist man an Zäunen entlanggefahren, überall war hier der Libanon, da Syrien und dort drüben schon Jordanien, nur 14 Kilometer waren es von den Checkpoints der Westbank zum Strand von Netanya. Und dazu dann noch die Wüste und das mickrige Jordan-Rinnsal, die Siedler in ihren erhabenen Neubaufestungen und die Ultraorthodoxen, die im Schnitt 7,6 Kinder bekommen und gemeinsam mit Ahmadinedschad dem Staat Israel das Existenzrecht absprechen. Ein Irrwitz.

Wohl um all das zu kompensieren, ist die Musikjournalisten-Reisegruppe in scheußliche Fettnäpfchen getreten: lustige Fotos vor Minen-Warn-Schildern auf den Golan-Höhen, ein lautstarkes Popquiz auf den Straßen von Tel Aviv, Thema: die größten Rammstein-Hits. Gute Güte. Solcherart abgrundtiefe Erlebnisse schweißen zusammen, auch zurück in Berlin klammert man sich noch aneinander und verbringt ganze Wochenenden im cosy Gruppenmodus.

Am Donnerstag traf man sich im Westgermany, wo es anlässlich Bruce Lees 69. Geburtstag Kunst zu sehen und Bier zu trinken gab. Man frönte dem Reise-Gossip, angefangene Affären wurden weitergeführt, und man hopste wild unter einem Antifa-Banner herum – das hier selbstverständlich zur Ausstellung gehörte und die Frage „Ist das jetzt etwa antiimp oder doch antideutsch?“ mal kurz vernachlässigenswert erscheinen ließ.

Am Freitag ging es in die Galerie Zero auf der Köpenicker Straße. Dort zeigt Wolf Howard, der hoch sympathische Schlagzeuger von Billy Childish, Lochkamera-Fotos, die noch schöner werden, wenn Howard sich selbst als „überzeugten Arbeitslosen“ beschreibt, der es in seinem ganzen bisherigen Leben auf zwei Monate, einen Tag und eine halbe Stunde abhängige Beschäftigung gebracht hat. Galerie-Mitbetreiber und Reisegruppenmitglied Jacek führte außerdem ein Bild vor, auf dem ihn seine Frau Anna als „König von Afrika“ gemalt hat: Kleine Äffchen halten über seinen Kopf einen royalblauen Herrscherschirm, auf dem Kreuze, Davidsterne, Nike-Swooshs und sogar Halbmonde abgebildet sind.

Gruppenauszeit am Samstag. Im HAU war Vaginal Davis in Thomas Meineckes „Plattenspieler“-Reihe zu Gast. Die 50-jährige Drag Queen lieferte eine eindrucksvolle Show ab. Sie bewedelte sich mit ihrem knatschgrünen Fächer und tanzte auf bloßen Strümpfen und ganz am Ende sang sie noch eine spontane Ode auf den Gastgeber: „Oh Meinicki, my new lover, your semen is so delicious and even quite nutritious, you have a nice long penis.“ Da wedelte Meinecke bescheiden abwehrend mit den Händen.

Am Sonntag ließ man sich – wieder mit der Israel-Gruppe – die intellektuelle Essenz der Reise noch einmal von Hollywood vorführen: Es ist nicht alles schwarz-weiß! Oh nein!

Aber, oh Schreck, als man nach Hause kam, hatten die Schweizer für ein Verbot von Minaretten gestimmt, und ein ebenfalls aus Israel gut bekanntes Gefühl schlich sich hinterrücks wieder ein: Vielleicht ist leider doch alles eher schwarz.