: Die Emanzipation von Heldin und Autor
Oper Das Theater Lübeck landet mit Dimitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ einen Erfolg. Die Inszenierung verschränkt das Schicksal der Katerina mit dem des Komponisten
von Jens Fischer
„Niemand streichelt meinen Busen, niemand macht mich mit seiner Liebe erschöpft.“ Dramatisch forciert schmettert Katerina, die Kaufmannsgattin, den Frust über Stumpfsinn und Langeweile ihres finanziell solventen, emotional insolventen Lebens heraus. Der Bremer Regisseur Jochen Biganzoli potenziert das, indem er Traumbilder aus ihrem Kopf in Bühnenecken exportiert: Dort geben sich Statisten, die als „gut gebaute“, archaische Mannsbilder gecastet wurden, lustvoll gemeinten Fummelorgien an Frauenkörpern und Blowjob-Aktivitäten am Ehemann Katerinas hin.
Aber die Zuschauer wissen längst Bescheid. Nicht über die Tragödie dieses schwulen Mannes. Sie wird ignoriert. Sondern über die fiebernd Leidende. Denn gleich zu Aufführungsbeginn torkelte diese Lübecker „Lady Macbeth von Mzensk“ mit der Wodkaflasche im Anschlag auf die Bühne, ihren Körper designt mit Stöckelschuhen, Trainingschlabberhose und Pelzjacke. Ja, so sehen Frauen mit Problemen aus.
Die Zeit der Handlung, das zaristische Russland des 19. Jahrhunderts, interessiert Biganzoli nicht. Er verortet das Geschehen in der Entstehungszeit der Oper, dem stalinistischen Russland des 20. Jahrhunderts, sowie ganz allgemein im anti-putinistischen Europa sowie dem oligarchischen Russland des 21. Jahrhunderts. Hofiert also nicht nur die vermeintliche Heldin des Werks, sondern sieht darin auch die autobiografische Abrechnung des nach Freiheit dürstenden, von einer Diktatur drangsalierten Künstlers.
Auf dem Vorhang zu lesen ist Stalins 1936 lancierter Prawda-Hetzartikel wider diese Oper, „Chaos statt Musik“ betitelt, der Dimitri Schostakowitschs Karriere jahrelang ruinierte. Später wird in großen Lettern sein Anbiederungsbrief projiziert, doch bitte in die KPdSU aufgenommen zu werden. Zudem lässt Biganzoli neben der Trunkenboldin als Ouvertüre Schostakowitschs bohrend melancholisches Vermächtnis erklingen, offiziell den „Opfern des Faschismus“ gewidmet, inoffiziell als Requiem fürs eigene Begräbnis aus Motiven seiner Lieblingswerke komponiert: das Streichquartett Nr. 8 in c-Moll.
So viel Ablenkung von ihrer Geschichte lässt sich Katerina allerdings nicht bieten – und verjagt die vier Musiker. Aber sie kommen zurück mit dem Erinnerungswerk, auch die Regie addiert fortgesetzt Anspielungen auf den Komponisten und seine Epoche. Inszeniert aber auch eindrücklich die Voraussetzungen für Katerinas Emanzipationsbemühungen – also die Atmosphäre stets latenter Gefährdung durch eine heillos triebhafte, habgierige, gewaltbereite Machogesellschaft.
Der tyrannische Schwiegervater beschimpft, würgt, schlägt Katerina, zeigt in Momenten des Zusammenzuckens auch ein irritiertes Erschrecken vor seinem sadistischen Wüten. Grotesk komisch, wie er dann mit einem Blumenstrauß auftaucht. Die Geste überfordert ihn. Ein Despot ist kein Verführer, sondern gewohnt, sich zu nehmen, was er will. Wie fast alle Männer auf der Bühne. Wenn sie an Sex denken, was häufig der Fall ist, spendiert Biganzoli ihnen Playboy-Bunnys. Und wenn die Männer sich toll finden, was noch häufiger der Fall ist, dann dürfen sie wie Popstars mit Mikrofonen performen.
Um Katerina kreiselt ein Labyrinth karger Probebühnenräume, das Leere und Gefangensein visualisiert. Ab und an tobt der Chor der Büroangestellten herein, eine lüstern gaffende, hemmungslos grapschende, übersexualisierte Meute. Gerade wird eine Kollegin als „zu dick“ gedemütigt und zur Massenvergewaltigung vorbereitet. Da schaukelt sich die Musik hoch, brüllt vor Schmerz, faucht vor Gier, schreit empört.
Bis Katerina allen ins Gewissen singt. Sie ist in Lübeck keine Opfergestalt. Schlendert in Chefinmanier, mit genervt wichtigem Blick, durchs Unternehmen ihres Mannes. Und flirtet selbstbewusst mit einem Angestellten. Er sieht nicht super attraktiv aus, singt auch nicht so, ihm fehlt auch die viril erotische Ausstrahlung, er macht aber arrogant klar, nur auf Abenteuer aus zu sein.
Und sie? Klebt ihre Lippen gleich wonniglich verzückt an die seinen! Sieht mutig aus, ist aber einfach nur doof. Berauscht vom Verliebtsein als Erlösungsfantasie stolpert Katerina in neue Abhängigkeiten. Hat aber endlich Sex. Opernanständig wird das gezeigt. Wer mehr sehen will, muss hören. Schostakowitsch hat ja alles komponiert: Vom rhythmischen Ineinanderknäueln der Körper über die (Klang-)Explosion des Orgasmus bis hin zum Erschlaffen des Gliedes und dem postkoitalen Auseinanderknäueln, vertont als traurig erschöpftes Japsen der Posaune.
Mit würde- und kraftvoller Stimme und roher Tatkraft betont Katerina ihren Liebeslügentraum – vergiftet den Schwiegervater, erdrosselt den Ehemann, heiratet den Geliebten. Bis der sich einer Jüngeren zuwendet. So sind die Männer? Die Aussortierte bringt die Nebenbuhlerin und sich selbst um. So sind die Frauen? Katerina ist auf den Emanzipationsbarrikaden wahrlich keine lyrische Fee des Mörderischen, sondern kopiert nur rücksichtslos das verachtete Männermachtverhalten. Sie scheitert daher unheldisch an ihrem Freiheitsstreben.
Wie Schostakowitsch? Biganzoli verschränkt geschickt beide Zeitebenen, ohne die Erzählstrukturen und Figurenzeichnungen zu beschädigen. Da Katerinas Schwiegervater eiserner Repräsentant des Patriarchats ist, wird sein Begräbnis als das von Stalin inszeniert. Sind Opfer von Willkürherrschaft auf der Bühne zu sehen, steht dort stets auch ein Schostakowitsch- Porträt – obwohl der auch Kollaborateur und Profiteur war. Aus Katerinas Hochzeitsparty- wird eine Sträflingsgesellschaft, illustriert mit Zeichnungen des Gulag-Terrors.
Das Orchester spielt so fulminant, als wollte es Stalins Prawda-Artikel nochmals widerlegen. Der 1. Kapellmeister Andreas Wolf macht die Partitur durchhörbar bis in feinste Verästelungen und gestaltet fast kammermusikalisch genau die teilweise satirischen Klangillustrationen. Das ist wahrlich ein Triumph der Lübecker Theatersaison.
Nächste Aufführungen: 15. April, 1. und 29. Mai, 16. und 25. Juni
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