„Mein Körper, meine Wahl!“

POLEN Tausende Frauen protestieren in mehreren Städten erneut gegen das drohende totale Abtreibungsverbot. Viele ungewollt Schwangere fahren gleich ins Ausland

Der Kleiderbügel als Symbol: Protest in Warschau am vergangenen Samstag Foto: Czarek Sokolowski/ap

AUS WARSCHAU Gabriele Lesser

Die Metallkleiderbügel klimpern leise im Wind. Manche sind mit blutroter Farbe bekleckst. Auch Monika Marecka hat zwei Bügel zur Warschauer Frauendemo mitgebracht: „Damit haben unsere Mütter und Großmütter abtreiben müssen. Wann hört diese Barbarei endlich auf?“, empört sich die 24-Jährige, schwenkt die Bügel hoch über dem Kopf und skandiert mit Tausenden jungen Frauen und Männer: „Mein Körper, meine Entscheidung!“.

Polens Frauen droht ein totales Abtreibungsverbot. Die katholischen Bischöfe fordern es, eine Gruppe fanatischer Katholiken brachte eine Gesetzesinitiative ins Parlament ein, und Polens Regierungschefin Bea­ta Szydło bestätigte zunächst: „Wenn es um meine Meinung geht, so bin ich für diese Ini­tia­tive.“

Vergewaltigungen, schwerste Missbildungen des Fötus und sogar eine Gefahr für die Gesundheit der Frau sollen demnächst keine Abtreibung mehr rechtfertigen. Polinnen sollen gezwungen werden, das Kind ihres Vergewaltigers auszutragen und es mit dem Ehepartner und den gemeinsamen Kindern aufzuziehen oder es nach der Geburt zur Adoption freizugeben. Die Diagnose schwerster Krankheiten oder Missbildungen dürfe künftig keinen „Mord des ungeborenen Lebens“ nach sich ziehen, argumentieren Bischöfe und radikale Pro-Life-Anhänger. Auch in der Regierung scheint sich die Meinung durchzusetzen, dass insbesondere dem „Mord aus eugenischen Gründen“ ein Riegel vorgeschoben werden müsse.

In der Gesetzesinitiative, die die Bürgerinitiative Ordo Iuris eingebracht hat, ist auch von der „Gefahr für Gesundheit und Leben der Mutter“ die Rede, allerdings in so verschwommener Weise, dass viel Raum für Interpretation bleibt. Der Gesetzesinitiative zufolge verliert eine Frau in Polen jede Selbstbestimmung, wenn sie schwanger wird.

Jahrestag: Mit Kranzniederlegungen ist in Polen am Sonntag der Toten des Flugzeugabsturzes von Smolensk vor sechs Jahren gedacht worden. Vor dem Warschauer Präsidentenpalast stand eine militärische Ehrenwache vor dem Bild des polnischen Präsidenten Lech Kaczyński und seiner Frau, die bei dem Absturz einer Regierungsmaschine ums Leben gekommen waren.

Ursachen: Unter den Anhängern der regierenden Nationalkonservativen glauben viele, der Absturz sei ein Anschlag gewesen. Der offizielle Untersuchungsbericht machte menschliches Versagen und technische Mängel verantwortlich. (dpa)

„Die Priester und Bischöfe wollen keinen Sex, keine Ehefrau und keine Kinder. Sie wollen keine Familie“, ruft eine junge Frau von der Bühne vor dem Parlament herab. „Das ist ihre Entscheidung. Wir kritisieren das nicht. Aber niemand gibt den Bischöfen das Recht, über unseren Bauch zu bestimmen! Auch nicht Gott.“ Die Masse jubelt und skandiert erneut: „Unser Körper! Unsere Entscheidung!“

Offiziell gab es in Polen im vergangenen Jahr knapp 1.000 legale Abtreibungen. Da viele Ärzte Schwierigkeiten befürchten, wenn sie den Eingriff vornehmen, schützen sie ein „gutes katholisches Gewissen“ vor und schicken selbst Frauen weiter, denen Polens Gesetz eine legale Abtreibung erlaubt. Aus diesem Grund ersparen sich viele Polinnen den Spießrutenlauf durch die gynäkologischen Praxen und fahren lieber gleich ins Ausland. Billiger, aber weitaus gefährlicher ist es, die Dienste von illegalen „Engelmacher“ in Anspruch zu nehmen oder aber mit einem Metallkleiderbügel selbst Hand anzulegen.

Szydło zog sich inzwischen von ihrer Unterstützung des totalen Abtreibungsverbots zurück. Denn Tausende Frauen schilderten als Trolle auf der Facebook-Seite der Regierungschefin den aktuellen Stand ­ihres Menstruationszyklusses, wie die Hormone der Antibaby­pille bei ihnen wirkten und dass sie gern, nach persönlicher Beratung von Szydło, auf eine andere Verhütungsmethode umsteigen würden. Manche boten an, in Dreimonatspaketen ihre benutzten Tampons und ­Binden an Szydło zu schicken, denn es würde doch sicher bald eine Menstruationskontrolle eingeführt. Seither rudert Szydło zurück: „Was ich gesagt habe, war meine Privatmeinung. In der Regierung diskutieren wir zurzeit nicht über das Abtreibungsgesetz.“ Aber die Bischöfe werden nicht locker lassen. Immerhin haben sie der rechtsnationalen PiS zum Wahlsieg verholfen. Es ist also noch eine Rechnung offen.