Der kleine Schulmeister

Kein Journalist, der den Namen verdient, verweigert den Kollegen von der „Berliner Zeitung“ seine Bewunderung. Roger Köppel, Chef der defizitären Propagandabroschüre „Die Welt“, tut es

VON KLAUS HARPPRECHT

Kein Journalist, der den Namen dieses elend-schönen Standes verdient, keiner, dem die Unabhängigkeit einer Zeitung einen Stoßseufzer wert ist, keiner, der einen Funken Respekt vor dem Widerstand des Schwächeren gegen das Gesetz des Stärkeren hat – kurzum: keiner, mit dem man ein Glas Bier trinken möchte, verweigert den Kollegen von der Berliner Zeitung seine Bewunderung für ihre hartnäckige und so tapfere Resistenz gegen den geplanten Ausverkauf an eine britische Investorengruppe.

Nicht die Mitsorge um den Arbeitsplatz, nicht die Mitfurcht vor der Bedrohung eines Blattes, das sich eigenständig zu einer der besten Zeitungen des Landes hochzurappeln vermochte und obendrein noch Gewinn abwarf – ein Wunder das im Niemandsland zwischen Holtzbrinck, dem nominellen Eigentümer, Gruner + Jahr, den Vorbesitzern, dem Kartellamt, an dessen Einspruch der Stuttgarter Konzern gescheitert ist, und einem bislang unbekannten künftigen Käufer gedieh. Keiner, der vor dieser Leistung seinen Hut nicht zöge: nur Roger Köppel nicht, Chefredakteur der Welt, der höhnisch von einer Art „Deutschland AG zur Abwehr der Briten“ daherschwadronierte. „Die Panik“, belehrte uns der agile Agitator in der Mittwochausgabe seines Blattes, beruhe „auf einem Mangel an betriebswirtschaftlichem Basiswissen“. Denn es gebe „keinen Widerspruch zwischen Renditezielen und gehaltvollem Journalismus“.

Hatte der fuchtelnde kleine Schulmeister dabei seine eigene Zeitung, Die Welt, im Auge, die jenseits aller Renditeziele durch die Verlustzone wuselt – und den Traum von einem „gehaltvollen Journalismus“ längst in den Wind geschrieben hat, ausgenommen die „Literarische Welt“ und das Feuilleton, die gelegentliche Aufschwünge wagen. „Die Qualität“ aber leide nicht, behauptet Köppel, „wenn sie sich an den Gesetzen des Marktes und der Kostenwahrheit orientiert“. „Die Klage über angeblich räuberische Finanzinvestoren“ sei „oft nichts anderes als die Angst vor höheren Anforderungen“.

Ein Blick auf den Londoner Zeitungsmarkt indes zeigte ihm (falls er’s wissen möchte) drastisch genug, was uns blühte. Vor wenigen Jahrzehnten noch war – von Boulevard-Blüten wie News of the World abgesehen das englische Zeitungswesen ein Paradies der Qualität: die ehrwürdige Times, der liberale Guardian, der konservative Daily Telegraph – und am Sonntag die Krönung journalistischen Entzückens: die rechte Sunday Times und der linke Observer. Seit der Ankunft von Robert Murdoch – diesem umgekehrten König Midas, dem alles zu Dreck wird, was er anfasst (und in seinen Tresoren am Ende dennoch zu Gold) – haben sich die Londoner Kioske in Müllschuppen verwandelt, in denen sich alles sammelt, was Großbritannien an muffigem Sex, klebrigem Klatsch, bösartiger Aggression und nationalistischer Verlogenheit zu bieten hat.

Tischte Köppel seine Lehrsprüche auf, um die gefährliche Ballung publizistischer Macht durch Springers Aufkauf der Fernsehkette Sat.1 und Pro Sieben zu rechtfertigen? Um davon abzulenken, dass die Welt unter Köppel vor der Septemberwahl nichts mehr mit einer Zeitung gemein hatte, sondern als Propagandabroschüre der Allianz von Westerwelle und Merkel täglichen Berufsverrat übte? Oder um darüber hinwegzuschnöseln, dass Springer durch die Anrufung des Kartellamts den Zusammenschluss des defizitären Tagesspiegels mit der potenteren Berliner Zeitung verhindert hat, damit das Doppelblatt Welt-Morgenpost vor einer lebensbedrohlichen Konkurrenz bewahrt bleibe? Köppels Maxime von der „Angst vor höheren Anforderungen“: war sie in der Auseinandersetzung mit Holtzbrinck außer Kraft gesetzt? Der junge Chefredakteur, der eine flinke Intelligenz mit einer erstaunlichen Portion Ruchlosigkeit vermengt, hat sich einst dem Hause Springer durch die brutale Verwandlung der Weltwoche, dieses Traditionsblattes linker Liberalität, in eine flach-konservative Postille im Dienst des rechtspopulistischen Milliardärs Blocher empfohlen. Die Mannschaft des Blattes wurde – eine Hand voll ängstlich-opportunistischer Redakteure ausgenommen – mit einer Kaltschnäuzigkeit „entsorgt“ (Köppels Wort), die den biederen Eidgenossen die Sprache verschlug.

Das Blatt freilich entrann durch die Umstellung auf ein handliches Magazinformat, vor allem aber durch eine kunterbunte Mischung von Sensation, Sex und rechtem Politpop den roten Zahlen. Der Preis war hoch. Das Elend der inneren Verlotterung kam erst zutage, als der Wunderknabe Köppel nach Berlin berufen wurde. Friede Springer und Matthias Döpfner werden ihre Freude an dem Bübchen haben.

Klaus Harpprecht ist Publizist. Er war Berater von Kanzler Willy Brandt