Das Pony hat anscheinend keinen anderen Sinn, als kleine Kinder zu belustigen. Wie dem Wolf steht ihm nur zu, was den Menschen belustigt oder ihn zumindest nicht stört
: Wenn des Menschen Wohl über allem steht, ist die Welt bald am Arsch

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Unsere Oma hatte so ein Bild von uns, von jedem von uns, auf dem wir, ein kleines Kopftuch umgebunden, gegen den Wind, auf einem Pony sitzen. Unsere Mutter stand daneben, um uns ein bisschen festzuhalten, denn wir waren klein, als dieses Foto gemacht wurde. Vier Jahre alt, vielleicht auch erst drei Jahre alt?

So ein Foto gibt es von mir und von meiner Schwester und von meiner anderen Schwester auch. So ein Foto gab es auch von anderen Kindern, bei denen ich zu Besuch war. So ein Foto auf einem Pony war damals sehr beliebt. Man machte sie zum Beispiel im Tierpark. Da gab es immer Ponys für die kleinen Kinder. Da liefen sie ein Stück den Weg hinauf und ein Stück den Weg hinab und blieben dann kurz mal stehen, für ein Foto.

Ponys hatten früher nie einen anderen Sinn, als dass ein Kind draufgesetzt und fotografiert werden konnte. Ponys waren hauptsächlich fotografische Details. Nun, das stimmt nicht ganz, denn Ponys waren auch für die kleinen Kinder die Vorstufe zum Pferd, eigentlich sind sie kleine Pferde. Ein Kind, das noch nicht auf einem großen Pferd reiten kann, das kann schon mal ein bisschen auf einem Pony reiten.

Auf jeden Fall ist das Pony aber süß und ungefährlich. Es gibt es in rosa und mit Glitzerschwanz aus Plastik, es hat einen ähnlichen Ruf wie das Lamm oder der Koalabär. Deshalb wird es auch immer noch angeboten, im Zirkus, im Tierpark und auf dem Jahrmarkt, wo es stoisch seiner Aufgabe der Kinderbelustigung nachgeht.

Es bleibt ihm ja auch nichts anderes übrig. Es ist nur ein kleines Pferd und es steht ihm anscheinend nicht zu, über die Prärie zu galoppieren, wild und gefährlich, frei und unbeschwert. Denn Tieren steht nur das zu, was den Menschen Spaß macht und sie nicht stört, belästigt oder belastet, wie zum Beispiel die Beutejagd des Wolfes.

Der Wolf schlägt in Niedersachsen schon mal das eine oder andere Schaf und das soll er nicht, weil das den Menschen ziemlich belästigt und belastet. Deshalb soll er auch lieber nicht leben. Oder soll aufhören, Fleisch zu essen. Der Mensch selbst möchte damit nicht so gerne aufhören, er tötet erheblich mehr Schafe als der Wolf.

Aber des Menschen Wohl ist das Wichtigste auf der Welt. Wichtiger sogar als die Welt selbst, weshalb die Welt auch irgendwann am Arsch sein wird. Aber bis dahin ist dem Menschen das egal. Bis dahin macht er es sich schön und beklagt sich über den Wolf. Und lässt die kleinen Ponys für den Spaß seines Nachwuchses im Kreis laufen.

Solange im Kreis laufen, bis das Pony eine kreisförmige Vorstellung vom Leben hat. Es läuft so vor sich hin, und sieht auf seine Füße und läuft und läuft und läuft und kennt kein anderes Leben als dieses kreisförmige. In der Nacht läuft das Pony weiter, im Traum, und träumt kreisförmige Träume.

Und es passiert eigentlich nichts weiter in seinem Leben, bis auf einmal, da kommen Menschen und erschrecken das Pony, es gibt großes Geschrei und die Kinder purzeln von dem Pony herunter und verletzen sich sogar und das Pony ist schockiert. Die Kinder sind schockiert. Der Ponybesitzer ist schockiert. Und ein paar Leute diskutieren später über diesen Überfall, der eine Tierschutzmaßnahme darstellen sollte.

Was sind schon ein paar erschreckte Gören gegen das lebenslange Leid eines kleinen Ponys? Keine Ahnung, lässt sich schwer abwägen. Und die Empörung schlägt ein paar kleinere Wellen, auf dem Hamburger Dom. „Die armen Ponys“, sagt eine Frau, „latschen immer im Kreis. Tierquälerei is dat“, und beißt in ihre Wurst.

Und ich denke, wenn die Frau das Schwein gekannt hätte, in das sie da beißt, wenn sie gesehen hätte, wie es vorher gelebt hat, wie es dann transportiert und geschlachtet wurde, dann würde sie vielleicht auch ein, zwei Sätze zu ihm gesagt haben, bevor sie in die Wurst aus ihm gebissen hätte, die gute Frau.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.