Fremde oder Freunde

Beim taz.lab geht es nicht ums Passendmachen. Es geht um Unterschiede, um die Zukunft einer offenen Gesellschaft in Deutschland

Die Frage als Antwort

Rundgang Die Integration des Wolfes, die Furcht vor dem Salafismus, ein feministisches Kaffeekränzchen – wie geht das zusammen?

Dwayn Prepont: Künstler und Queer_Trans*_Inter*_Black_and_People_of_Color-Aktivist Foto: Karsten Thielker

„Diese Frage ist sehr gut, denn sie illustriert präzise, worauf genau ich nicht hinauswill.“ Das Gespräch zwischen Cord Riechelmann und Hans Hütt im Zelt 2 auf dem windig-sonnigen Dach des HKW läuft bestens. „Fremd vertraut“ haben sich die beiden Philosophen zum Thema gewählt, und es gelingt Hütt ohne Mühe, das enzyklopädische Wissen des studierten Biologen Riechelmann auf dem Podium hervorzulocken. In schneller Folge werden Biopolitik, Natur- und Wissenschaftsgeschichte abgerufen, über Popkultur, die Domestizierung des Wolfes und Anekdoten aus der Freien Universität Mitte der 1980er schlagen sie den Bogen bis hin zum Zika­virus. Riechelmann ist sich sicher: Jeder Traum genetischer Veränderung an Insekten ist utopischer als die Idee, gute Kanalisation auch in Armenvierteln anzulegen.

Was das mit dem taz.lab zu tun hat? Immer wieder tagen die Runden am Samstag zu ­sozialen Kämpfen, die ein wesentlicher Ausdruck allgegenwärtiger Differenz sind, eine Aushandlung der Frage, wie mit ihr umzugehen, wie sie auszuhalten ist.

Immer wieder tagen die Runden zu sozialen Kämpfen, die ein wesentlicher Ausdruck allgegenwärtiger Differenz sind

Kaum zu halten ist da bisweilen das Publikum. „Eine populistische Veranstaltung“ sei dies, schreit eine Dame und fragt, ob man hier bei der Bild-Zeitung gelandet sei. „Was ist deutsch?“, heißt die Veranstaltung, zu der sie sich eingefunden hat. Die Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek, die als Islamkritikerin Talkshowkarriere gemacht hat, diskutiert mit Orkan Kösemen, der bei der Bertelsmann-Stiftung Projektmanager für Integration ist. Der Talk ist ein Aufreger – auch für Kelek selbst. Es passiere „gar nichts“ angesichts des immer stärker werdenden Salafismus und gar der klammheimlichen Freude in manchen Migrantenvierteln über Terroranschläge. Schon wird es im Saal wieder laut. 75 Prozent der Geflüchteten in einem Berliner Flüchtlingsheim seien außerdem Islamisten, meint eine Frau, die wohl selbst mit einem Syrer verheiratet ist. Die Moderatorin und Journalistin Laila Oudray greift erfolgreich beherzt durch. Und dennoch, aus dem Streitgespräch zu der Frage „Was ist deutsch“ wird bereits nach zehn Minuten ein Gespräch zur Frage „Wer ist nicht deutsch?“.

In Syrien, wo die Katastrophe stattfindet, die mitverantwortlich ist für die großen Diskussionen, die in Deutschland geführt werden, wird diese Frage nun wirklich niemanden interessieren. „Am Ende gewinnt Assad?“ heißt die Frage, Kristin Helberg und Franziska Brantner verhandeln. Helberg hat lange Jahre als Journalistin in Syrien gearbeitet. Brantner ist Abgeordnete der Grünen im Bundestag und Vorsitzende des Unterausschusses für Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln.

Es sollte ein Fachgespräch werden, ohne Kontroverse. Das wurde es auch – fast. Wie komplex der Krieg in Syrien ist, lässt sich schon an der Vielfalt der angeschnittenen Themen ablesen: Welche Opposition kann man unterstützen? Was macht die Zivilgesellschaft? Wie steht es mit den Verhandlungen in Genf? Wie stark ist der IS? Und die Kurden? Was machen die UN? Und warum kommen die Hilfslieferungen nicht an? Und dann geht es doch auch wieder um das Hier und Jetzt. Was sagt unser Verhalten in der Syrienfrage über unsere Gesellschaft aus?

Etwas über 2.900 Menschen nahmen am taz.lab teil – Rekord. Unter den Besuchern waren mehr Frauen als Männer.

Bei den 80 Veranstaltungen kamen 240 Menschen auf neun verschiedenen Bühnen zu Wort.

Das taz.lab ging um acht Uhr morgens los und endete um ein Uhr nachts.

Abends spielte Bernd Begemann seine Songs auf Zuruf.

Bisweilen sind da Fragen selbst die beste Antwort. Obwohl die Welt oft viel zu schnell Antworten verlangt. Schon morgens am Frühstückstisch, wenn im Radio über den letzten Anschlag berichtet wird, zwingt uns der Terror zur Meinung. Angriff auf die Meinungsfreiheit, auf die Mobilitätsfreiheit, auf unsere demokratischen Werte – so übersetzen uns sogleich Politikerinnen und Politiker die mörderischen Taten. Ein Gespräch des Autors Philipp Stadelmaier mit seinem Verleger Jörg Sundermeier hilft, sich dieser vorschnellen Vereinnahmung und Meinungsmache bewusst zu werden. Was macht der Terror mit Meinungen und der vielbeschworenen Meinungsfreiheit? Wieder so eine Frage.

Ab zum Kafeekränzchen. Dazu hatten die taz.lab-Partner vom Missy Magazin eingeladen. Unter der Leitung der künftigen stellvertretenden taz-Chefredakteurin wird am großen Tisch über Mini-Röcke oder die positive Aura von Sandelholz diskutiert. Worum es da wohl geht? Die Abwertung von weiblich konnotierten Eigenschaften und die damit verbundenen Widersprüche im feministischen Diskurs. Augenscheinlich widersprüchlicher könnte die Runde kaum sein. Während Schminke für Leyla Jagiella, die als Transfrau im Queer-Islamkontext aktiv ist, ein Akt der Selbstermächtigung war, schämte sich Missy-Redakteurin Hengameh Yaghoobifarah früher eher für ihre aufgebrezelte Mutter, die im Vergleich zum Typus der „sportlichen Renate“-Mama ihrer MitschülerInnen als „typisch kanakenmäßig“ aus der deutschen Norm zu fallen schien. Umso einiger sind sich hingegen Bloggerin SchwarzRund und die Autorin Ahima M. Beerlage darüber, dass sexy Kleidung nicht nur weißen, dünnen, jungen Frauen vorbehalten sein sollte und dass das Durchbrechen dieser Regel herrliche Irritationen hervorrufen kann.

Laborpause: Besucher des taz.lab am Haus der Kulturen der Welt Foto: Karsten Thielker

Darüber wird auch nach dem Kaffeeklatsch weitergetratscht, bevor es zur Weinprobe mit Genuss-Autor Till Ehrlich geht, bei der gekostet werden kann, was demnächst im taz Shop feilgeboten wird. Da wird man weiter über Empowerment für die People of Color diskutiert oder über den Welthandel. Und trotz aller Fragen, die bleiben, war ganz schön viel zu lernen am Samstag im Berlin.

Die taz.lab-Lesebühne: „Rakete 2000 goes different“ mit Autorin Jacinta Nandi (M.) Foto: Karsten Thielker

Mitarbeit: Laura Aha, Jonas Empen, Daniél Kretschmar, Seyda Kurt, Andreas Schmaltz