„Verkauf ist kein Kriterium“

Spielejury Udo Bartsch sitzt in der Jury für das „Spiel des Jahres“. Ein Gespräch über seine Testbasis, die Juryarbeit und warum er von Lernspielen nichts hält

Udo Bartsch

Foto: privat

47, Spielekritiker, lebt in Hannover-Linden. Seit 2007 ist er in der Jury für das „Spiel des Jahres“, jeden zweiten Freitag veranstaltet er den Asta-Spieleabend an der Uni.

Interview Frank Keil

taz: Herr Bartsch, wie wird man Mitglied in der Jury für das „Spiel des Jahres“?

Udo Bartsch: Man muss Spielekritiker sein. Man muss also in Medien über Spiele schreiben. Und wenn man das lange genug macht und nach Ansicht der Jury kompetent genug ist, dann spricht die einen eines Tages an, ob man dabei sein möchte.

Wie testet man Spiele?

Man muss ganz, ganz viel spielen. Ich spiele unter der Woche immer mit anderen Gruppen. Ich habe eine Gruppe, die immer Dienstag kommt, eine kommt immer Mittwoch, eine, wo ich immer Donnerstag hingehe – und dann habe ich am Wochenende auch noch Termine. Beispielsweise habe ich jeden zweiten Freitag einen Termin an der Uni, da kommen dann Studenten hin. Oder ich bin in der Kirchengemeinde oder ich werde irgendwo hin eingeladen – so versuche ich mir eine Testbasis aufzubauen, indem ich möglichst viele Spiele mit möglichst verschiedenen Leuten spiele: einerseits Leute, die sich auskennen, die also sehr schnell die Schwachstellen eines Spiels erblicken, andererseits habe ich aber auch Leute, die keine Vorerwartungen haben, die Spiele also ganz frisch und unverbraucht sehen.

Wie verläuft die Juryarbeit?

Das meiste läuft zunächst über das Internet. Wir haben ein internes Forum, wo jeder seine Erfahrung hineinschreibt, also wie er ein Spiel beurteilt. Dazu kommen monatliche Abfragen, so ist jeder orientiert, was spielen die anderen gerade, was favorisieren sie, was habe ich selbst schon gespielt; aber auch, was müsste ich mir noch angucken und dafür erst einmal besorgen.

Aber Sie treffen sich schon auch an einem Ort?

Die eigentliche Jurysitzung ist Ende Mai: unsere Klausurtagung, da beratschlagen wir, welche Spiele nominiert werden. Es werden für die Kategorien „Spiel des Jahres“, „Kennerspiel des Jahres“ und „Kinderspiel des Jahres“ je drei Spiele nominiert. Es gibt zwei Preisverleihungen: das Kinderspiel in Hamburg, die anderen beiden in Berlin. Da setzen sich die Jurys an den Tag zuvor noch mal zusammen, diskutieren über die Nominierten und – stimmen dann ab. Und es kann sein, das wie bei der Bundespräsidentenwahl ein Kandidat schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit hat.

Hat auch der einsame Tüftler eine Chance?

Es muss sichergestellt sein, dass das Spiel in Deutschland, der Schweiz und Österreich erhältlich ist. Bei einem Bastler, der eine Auflage von 200 Stück bietet, wäre das nicht gewährleistet. Es muss schon ein Vertrieb dahinterstehen.

Lagen Sie schon mal daneben, und ein prämiertes Spiel verkaufte sich überhaupt nicht?

Verkauf ist nicht das Erfolgskriterium. Denn ob sich ein prämiertes Spiel verkauft oder nicht, hängt oft davon ab, welche Vertriebsmöglichkeiten ein Spieleverlag hat oder eben nicht. Für mich ist es wichtiger, welchen Innovationsgrad ein Spiel hat. Es gibt Spiele, die kommen in der Masse besser an, und welche, die kommen in der Masse nicht so gut an. Wir hatten mal „Kingdom Builder“ als Spiel des Jahres, da habe ich den Eindruck, dass viele das Spiel unterschätzt haben. Oder wir hatten „Hanabi“ 2013 als Spiel des Jahres, da gab es auch Leute, die mit der Originalität dieses Spieles nicht zurechtgekommen sind. Aber das waren eben trotzdem nicht schlechte Spiele des Jahres. Es ist nicht möglich, jedes Jahr ein Spiel zu prämieren, dass allen gleichermaßen gefällt.

In der Jury zum Spiel des Jahres sitzt nur eine Frau, in der Jury für das Kinderspiel haben die Frauen die Mehrheit. Warum ist das so?

Wir müssen uns ja danach richten, wie viele Kritikerinnen es gibt – und es ist leider so, dass überwiegend Männer Spielekritiken schreiben und nicht die Frauen. Warum das so ist, ich weiß es nicht. Dazu kommt, dass die Frauen, die wir ansprechen, dann nicht wollen. Wir würden das sehr gerne ändern – aber es kommt nicht dazu.

Sie bekommen stets die neuesten Spiele geliefert. Gibt es Trends?

Mit Trends ist da so eine Sache. Es passiert alle paar Jahre, dass ein Spiel erscheint, dass wirklich etwas Neues hat – und dann meinen viele Spieleautoren, diesen Mechanismus auch verwenden zu müssen, das war bei „Dominion“ so. Allerdings ist im Moment wieder was am losrollen: Es komme viele Spiele, die sehr erzählerisch sind; Spiele, die ganz stark aus einer Geschichte heraus entwickelt sind. Da steht sehr viel Text im Vordergrund, man muss Rätsel lösen, man muss etwas erleben. Und es kommen Spiele, die sich von Partie zu Partie verändern; wenn ich also die zweite Partie spiele, dann habe ich eine andere Situation als bei der ersten Partie.

Und die gute, alte Geschicklichkeit?

Kommt vor, besonders im Familienspielbereich – ist aber kein Trend.

Wäre das nicht wünschenswert, gerade angesichts der Digitalisierung von Kindheit?

Ich würde das nie so sehen, dass Spiele etwas reparieren sollen, was in der Entwicklung von Kindern schiefgeht oder schiefgegangen ist. Wobei man ja immer lernt, wenn man spielt. Aber wenn da ganz groß „Lernspiel“ drauf steht, hört das Spiel auf, ein Spiel zu sein; dann verlieren die Spiele das Spielerische.