Parcours der Verunsicherung

Performance Sehen, ahnen, zweifeln: Werkschau von Rabih Mroué im HAU

Eine Werkschau kann sportlich sein. „Outside the Image Inside Us“ von Rabih Mroué ist es auf vielfältige Weise. Zunächst physisch. Acht verschiedene Produktionen stellt Mrouè in fünf Tagen vor. Meist taucht der Regisseur, Filmemacher und Autor selbst auf der Bühne auf, gern über die komplette Spieldauer. Das kann an die Substanz gehen bei zwei, drei Vorstellungen am Tag. Erst recht bei dem Wechsel von Themen, Orten und Zeiten in den einzelnen Stücken: Vom Münchner Olympia-Attentat 1972 springt er zu einem mysteriösen Kriminalfall in den 90er Jahren in Beirut. Dann taucht er wieder ab in den libanesischen Bürgerkrieg und die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Beides, der langjährige Krieg und die Annäherung an das Wahrscheinliche, sind prägend für das Denken des 49-jährigen Mannes aus Beirut. Am Ende der Werkschau am Sonntag wird er beim arabischen Frühling und dessen desillusionierenden Folgen landen. Ein beachtlicher Parcours.

Sorgen, dass Mroué zusammenbricht, muss man dennoch nicht haben. Denn ihn treibt Erkenntnisinteresse an sowie ein unerschöpflich scheinender Mitteilungsdrang darüber, wo überall die Grenzen des Erkennens liegen, wo die Löcher der Erinnerung sind, wie sie sich ausbreiten und damit nicht nur das Erinnerte, sondern auch das, was wir als Realität annehmen, strukturieren.

Dazu bedient er sich recht minimalistischer künstlerischer Mittel. Er und seine Co-Performer sprechen live in Kameras; ihre Bilder werden an die Wand projiziert. Das bringt sich kreuzende Perspektiven hervor und Dopplungen, körperliche Präsenz neben fragilen Schemen. Mroué trennt auch gern Ton und Bild. In „Ode to Joy“ gibt er sich die Mühe, den Unterschied zwischen inszenierten und im Realraum erlebten Explosionen klarzumachen. In Film-Explosionen sind Knall und Blitz immer eng beieinander. Wer sie im physischen Raum erlebt hat, wird nicht vergessen, dass der Schall sich langsamer ausbreitet als das Licht und beide Signale je nach Entfernung zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten beim Beobachter eintreffen. Die Genauigkeit, mit der solche Details beschrieben werden, überdeckt den Moment des Schocks über reale Bombenexplosionen.

Die Werkschau begann mit „Ode to Joy“. Mroué und seine Kolleginnen Manal Khader und Lina Majdalanie gingen der Entführung israelischer Sportler durch ein PLO-Kommando während der Olympischen Spiele 1972 nach. Sie stellten dabei eine Lücke fest. Die Ereignisse würden gewöhnlich entweder aus Perspektive der deutschen Sicherheitsorgane oder aus der der israelischen Opfer erzählt. Die palästinensische Perspektive hingegen fehle. „Ode to Joy“ füllt diese Lücke nicht, selbst wenn Mroué den Sichtweisen des Chefplaners der Entführung, Abu Daoud, viel Platz einräumt. Zentrales Element ist vielmehr, wie Bilder das Bewusstsein prägen.

Mroué skizziert, wie PLO-Kämpfer vor der Münchner Geiselnahme im Westen oft als Freiheitskämpfer gefeiert wurden. Kaum kam die Gewalt nach Deutschland, wurden aus Helden Terroristen. Später, mit den Bildern der Flüchtlingslager, wurden sie zu Opfern. Mroués Performance erinnert daran, dass die Klebezettel, die Nachrichtenredaktionen gewöhnlich an die Bilder heften, der hybriden und widersprüchlichen Realität selten gerecht werden.

Man weiß nach dem Eintauchen in Mroués Werk nicht unbedingt besser Bescheid über die Welt. Aber es breitet sich eine Ahnung über all das aus, was man nicht weiß, was man aufgrund des eigenen Wahrnehmungssettings gar nicht wissen kann und wie gerade das die Vorstellung von Realität prägt.

Tom Mustroph

Bis 3. April in HAU-Theatern