„Kinder in Bewegung“: Judotrainer Dennis Martens klärt mit dem Nachwuchs in der Spandauer Kita Brauereihof die Grundlagen seines Sports

Kita mit den kleinen Judokas

Förderung Die „Kinder in Bewegung“-Kitas vom Landessportbund haben einen Schwerpunkt Sport und kooperieren mit Vereinen. Der Bedarf ist da, haben Berliner Kinder doch oft bereits Probleme mit der Rolle rückwärts. 21 Einrichtungen machen bisher mit

von Alina Schwermer
(Text) und Joanna Kosowska (Fotos)

„Was ist die wichtigste Regel beim Judo?“ Judolehrer Dennis Martens vom TSV Spandau blickt in die Runde und versucht, die Aufmerksamkeit der Mädchen zu kriegen. „Wir sollen aufeinander aufpassen!“, schreien die Drei- bis Fünfjährigen durcheinander. Mit dem Regel-Satz kriegt er sie immer, das weiß er, und das nutzt Martens ganz gern. Denn schnell sind die Kinder im Turnraum der Kita Brauereihof mit dem Kopf woanders: Ein Mädchen will jetzt Matten umschmeißen, eines ist sauer, weil es beim letzten Spiel als Erste rausgeflogen ist, zwei streiten über einen angeblich angestoßenen Zeh.

„Das Schwierigste ist, die Kleinen bei Laune zu halten“, sagt Martens. Der 35-Jährige, groß, markanter Pferdeschwanz, strahlt bemerkenswerte Ruhe aus inmitten des wuselnden Haufens. Auch jetzt wird er nicht laut: „Wir kullern nun durch die Halle wie kleine Hundewelpen, auf geht’s.“ Meist funktioniert das, vor allem wenn es um süße Hundewelpen geht. Unbewusst können die Mädchen so richtiges Abrollen trainieren. Martens schmunzelt. Er findet, dass es gar nicht so schwierig ist, mit Kindergartenkindern Judo zu üben.

Für ihn selbst ist das hier Neuland: Erst seit Herbst unterrichtet Dennis Martens in der Kita, normalerweise ist er ehrenamtlicher Jugendtrainer beim TSV Spandau. Es ist ein Vorzeigeprojekt, der erste Judokurs überhaupt in einem deutschen Kindergarten, jedenfalls soweit die Verantwortlichen wissen.

Das Gerangel der Kleinen allerdings sieht zumindest für Außenstehende nicht sehr nach Judo aus. „Die Kämpfe sind natürlich nicht mit richtigem Judo zu vergleichen“, räumt Michael Pape, Vereinsmanager beim TSV Spandau, ein. Aber Hauptsache, die Neugierde der Kinder werde geweckt. „Wir wollen eine grundsätzliche Affinität zu Sport schaffen“ und beide Geschlechter gleichermaßen für den Kampfsport begeistern.

Gegen Rollenverhalten

15 Kinder aus der Kita, zu etwa gleichen Teilen Jungs und Mädchen, sind aktuell beim Judotraining dabei. Martens findet es spannend, die unterschiedlichen Charaktere der Kleinen beim Training zu beobachten. „Das Geschlecht spielt in dem Alter fast gar keine Rolle“, sagt er. „Ob jemand Spaß am Judo hat, hängt vom Typ ab. Es gibt auch Mädchen, die ganz schön rau sind, oder Jungs, die sehr zurückhaltend rangehen.“

Aufkommendes Rollenverhalten versucht er auszubügeln. „Wenn ich ein Junge wäre, könnte ich jetzt gewinnen“, sagt eines der Mädchen zu Martens. „Du kannst auch als Mädchen gewinnen“, erwidert der Trainer. Und wendet sich dann an alle: „Es ist richtig, ihr sollt aufeinander aufpassen. Aber man muss auch nicht gleich stänkern, wenn einem mal jemand auf den Zeh tritt.“

Natürlich wird sich nach zwei Minuten wieder eine der Kleinen beschweren. Dennis Martens reagiert dann mit Humor und inspiziert Ellenbogen oder Knie so gründlich, dass die Kinder lachen müssen. Damit ist die Situation meist schon entschärft.

In dem Zeitraum, in dem die Kinder an seinem Judotraining teilnehmen, sind sie Vereinsmitglieder des TSV Spandau. Ob sie aber langfristig dem Verein treu bleiben? „Das ist zumindest die Hoffnung“, sagt ­Martens.

Für Bewegungsfreude

Die Kooperation der Kita Braue­rei­hof mit dem TSV Spandau ist Teil eines größeren Projekts: Zu „Kinder in Bewegung“ (KiB) gehören mittlerweile 21 Kindergärten in Berlin, deren Träger der Landessportbund (LSB) ist. Die Kitas sind unterschiedlich aufgebaut, doch gemeinsam sind ihnen allen der Schwerpunkt Sport, spezielle Bewegungsräume und die Kooperationen mit Sportvereinen. Regelmäßig präsentieren Sportvereine ihr Programm und bieten Kurse an.

Zu „Kinder in Bewegung“ zählen insgesamt 21 Kitas in sieben Berliner Bezirken. Alleiniger Gesellschafter ist der Landessportbund mit seiner Jugendorganisation, der Sportjugend Berlin. Die Kitas legen besondere Schwerpunkte auf Bewegung sowie auf Ernährung und haben das Ziel, Kinder sportaffiner und beweglicher zu machen. Das Projekt gibt es seit zehn Jahren.

Seit 2012 gibt es außerdem eine spezielle Fachschule des LSB für Erzieher, die ein sportpädagogisches Profil vermittelt. Dort sollen gezielt Erzieher für die LSB-Kitas ausgebildet werden. Außerdem beschäftigt der Landessportbund Fachberater mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die die Kindergärten im Alltag unterstützen. Fast alle LSB-Kitas kooperieren mit mindestens einem Sportverein. (asc)

In der Kita Brauereihof etwa können die Kinder Judo, Yoga, Streetdance und Turnen lernen. „Unser Anliegen ist es, Kindern mehr Bewegung zu ermöglichen“, sagt KiB-Geschäftsführer Bernd Wille. „Wenn Kinder auf die Welt kommen, haben sie eine absolute Bewegungsfreude. Die wollen wir erhalten, solange es geht.“

Zuschüsse erhält der LSB für seine Trägerschaft, die er seit nun zehn Jahren ausübt, nicht. Deshalb erhofft man sich eben langfristige Mitgliedschaften und eine grundsätzlich höhere Sportaffinität in der Stadt. „Bei den Einschulungsuntersuchungen zeigt sich, dass Kinder immer unsportlicher werden“, sagt LSB-Pressesprecherin Angela Baufeld. „Sie können keine Rolle rückwärts, können nicht balancieren. Wir wollen den Kindern eine bessere sportliche Vorbildung ermöglichen.“

Natürlich geht es auch um Werbung in eigener Sache. Den starken Mitgliederzuwachs, den der LSB in den vergangenen zehn Jahren verzeichnete, führt man unter anderem auf die Kita-Trägerschaft zurück. „Gerade im Bereich der Kinder ist die Mitgliederzahl stark nach oben gegangen“, sagt KiB-Geschäftsführer Bernd Wille. Bei den unter Siebenjährigen etwa sei die Mitgliederzahl in den Vereinen in den vergangenen zehn Jahren von 23.500 auf 34.500 gestiegen.

Der LSB glaubt, Kinder mit frühem Sportunterricht langfristig an die Berliner Vereine binden zu können. „Vorher wurde immer nur punktuell Nachwuchs gefördert. Das hier ist zum ersten Mal eine strukturelle Förderung“, so Wille.

Die Bandbreite des Sports

Um Kindern die Sportarten in ihrer ganzen Bandbreite präsentieren zu können, gibt es in den KiB-Kitas sehr verschiedene Sportkooperationen. „Es sind natürlich vor allem die Vereine aus der Umgebung, die sich einen Effekt erhoffen“, sagt Dagmar Meermann, Fachberaterin für Bewegungspädagogik bei KiB. Das Angebot reicht von populären Sportarten wie Fußball, Schwimmen und Turnen bis hin zu Randsportarten wie Eiskunstlauf oder der asiatischen Kampfsportart Qwan Ki Do.

Einen positiven Effekt erhoffen sich vor allem die Vertreter kleinerer Sportarten, die unter der Anziehungskraft des Branchenprimus Fußball leiden. „Vereine außerhalb des Fußballs können definitiv profitieren“, glaubt Geschäftsführer Bernd Wille.

Wie viele Sportangebote es gibt, hängt allerdings stark vom jeweiligen Kindergarten ab. Wer etwa in den Sportkindergarten in Lichtenberg geht, kann bequem zwischen vier verschiedenen Sportarten wählen, Sauna und Tretbecken nutzen und außerdem noch musikalische Früh­erziehung genießen.

Eine Trinkpause zwischendurch

In anderen Kitas beschränkt sich das Sportangebot auf gelegentliche Besuche der Turnhalle. „Bei ein oder zwei Kindergärten ist es schwer, Kooperationen mit Sportvereinen zu bekommen“, sagt Dagmar Meermann. In der Mehrzahl der Kitas gibt es aber zumindest eine Kooperation.

Davon sollen beide Seiten profitieren. Der TSV Spandau etwa hat der Kita Brauereihof kürzlich seine Sportanlage für eine Kinder-Olympiade zur Verfügung gestellt. Außerdem spendierte der Verein der Kita Matten, auf denen nun das Judotraining von Dennis Martens stattfindet. Im Gegenzug hat der TSV einen Teil seiner regulären Yogaklassen in die Räumlichkeiten der Kita Brauereihof ausgelagert. Es sei eine sehr fruchtbare Kooperation, findet Vereinsmanager Michael Pape. „Wir sind nicht nur geduldet, sondern gewollt.“

Inwieweit die Kinder langfristig beim Sport bleiben, kann allerdings auch nach zehn Jahren niemand sagen. „Wir hoffen natürlich, dass nach Ende der Kindergartenzeit kein Bruch entsteht“, sagt Dagmar Meermann. „Aber wir verfolgen den Weg der Kinder nicht weiter.“

Auch beim TSV Spandau haben sie keine Daten darüber, wie viele Kinder letztlich bleiben. „Wir haben jedes Jahr 600 neue Kinder und 600 Abgänge“, so Vereinsmanager Michael Pape. „Es ist schwer, zu sagen, welche Kinder durch das Projekt kommen.“ Zahlen seien für ihn aber nicht die Hauptsache, betont er. „Es geht uns nicht darum, 20 Prozent Kinder neu zu gewinnen. Wir wollen dem Sport grundsätzlich ein Gesicht ­geben.“

Wenn Kinder einmal Gefallen an Sport gefunden hätten, so Papes These, blieben sie dabei. Seine eigenen Kinder etwa hätten gefühlt zwölf Sportarten ausprobiert. Wo das Kind dann lande, sei letztlich egal. „Und wenn wir die Kinder mit so einem Projekt nicht kriegen, wie denn dann?“