Götzenbelehrung

LÄNDERSPIEL Nach dem 4:1-Sieg gegen Italien könnte die Nationalmannschaft reif sein für die Europameisterschaft in Frankreich – wenn da nicht noch ein paar kleinere Probleme wären, die durchaus große Folgen haben könnten

Der Kniefall von Minga: Mario Götze und Thomas Müller (l.) bejubeln Mario Götze Foto: dpa

aus München Thomas Becker

Wenn die Münchner Polizei auf Italienisch twittert, ist entweder Oktoberfest, Champions League gegen Juve oder Milano – oder Länderspiel. Zum Klassiker gegen den Angstgegner informierte die Polizei vorab also zweisprachig: „Es finden verstärkte Kontrollen im Einlassbereich statt. Keine Taschen mitnehmen und Ausweise bereithalten.“ Und: Zeitig kommen! So was muss man uns Deutschen nicht zweimal sagen. Zwei Stunden vorm Anstoß öffneten die Stadiontore, um 18.45 Uhr – und um Viertel vor sieben waren dann auch alle da. Die Folge: gewaltige Schlangen wie sonst nur vor dem Apple Store, wenn mal wieder ein neues iWunderding zu haben ist. Zu sehen gab’s stattdessen: ein paar durchaus historische Pointen.

Als da wären: Zum ersten Mal seit dem frühen Mittelalter (1995) hat die DFB-Elf wieder gegen die Azzurri gewonnen. Zum ersten Mal in seiner ungefähr 700 Jahre langen Karriere musste Italias Nationalkeeper Gianluigi Buffon (circa 105 Jahre alt) mehr als ein Gegentor gegen die Tedesci hinnehmen. Und zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit (Juli 2014) ist Mario Götze wieder mit einem Lächeln im Gesicht gesichtet worden. Aber der Reihe nach.

Der Sieg. 4:1. Gegen die großen Italiener. Feine Sache, das. Kapitän Thomas Müller meinte: „Wir können jetzt positiver in die nächsten Wochen gehen. Wir haben ein bisschen vermieden, dass wir kleingeschrieben werden.“ Was nach dem 2:3 gegen die herrlich willigen Engländer durchaus zu befürchten war. Danach hatte derselbe Müller doch tatsächlich zugegeben, dass man sich als viel beschäftigter Profi für so ein hergelaufenes Testspiel nicht immer so ganz doll motivieren könne. Pah! So was passiert ihm nicht mehr, sagt er jetzt: „Ich habe mal wieder feststellen müssen, dass man mit der Wahrheit in Deutschland nicht so weit kommt. In Zukunft werde ich mich wieder zurückhalten, mir eine kleine Notlüge ausdenken, dann läuft es vielleicht besser für mich in den nächsten zwei Tagen.“ Schade eigentlich. Und was die Wirkung des 2:3 und des 4:1 angeht: Aus psychologischer Sicht wäre andersherum besser gewesen. Nach dem Spaziergang gegen die mit 27 (sic!) Null-Bock-Kickern auf dem Spielberichtsbogen angereisten Italiener ist beim DFB schon wieder alles gut. Was soll da schon schiefgehen bei der EM? Ein trügerisches Bild.

Es fängt schon ganz hinten an. Als Fan kann man nur hoffen, dass sich Manuel Neuer in Frankreich nicht den Magen verdirbt oder Schnupfen bekommt. Was der Ersatzkeeper André ter Stegen mit dem Ball am Fuß veranstaltete, hatte fast groteske Züge, vor allem im Verbund mit dem als Defensivkraft verschrienen Antonio Rüdiger. Bundestrainer Löw sah über deren Harakiri-Passerei großflächig hinweg und flötete in Richtung ter Stegen: „Er hat vielleicht in der einen oder anderen Situation ein bisschen zu lange gezögert.“

„Bei der EM gibt’s wieder andere Voraussetzungen und Situationen“, so Löw

Auch nach dem schicken 4:1 bleiben die Fragezeichen: „Hinten rechts?“ Schweinsteiger? Und Gomez oder Götze? Letzterer sank nach seinem Kopfballtreffer (sic!) so ergriffen auf die Knie, als hätte er mit seinem Treffer jetzt auch noch eine EM entschieden. Hatte er aber nicht. Sondern nur mal wieder etwas länger vor Publikum gespielt – und richtig Spaß dabei gehabt. Sonst spielt man solche Zirkusbälle wie den auf Draxler vor dem 3:0 nicht. Was könnte der spielen, wenn man ihn nur mal lassen würde, denkt sich da der Fußballfreund. Natürlich drehte sich nach dem Spiel viel um Götzes Tor. ARD-Experte Mehmet Scholl meinte, Götze müsse „viel, viel mehr trainieren“, jemand müsse ihm „auf die Sprünge helfen, ihn anstupsen“. Außerdem sei er früher „so schnell, so athletisch“ gewesen, „ein Pfeil“. Auch für Scholl steht außer Frage, dass Götze ein ge­nia­ler Kicker sein kann – wenn er denn will: „Lionel Messi macht so was über 90 Minuten – Mario, wenn ihm danach ist.“ Und auch Pep Guardiola gab er noch einen mit: „Diese Sachen macht Götze, wenn er Vertrauen spürt. Wenn er weiß, dass ihm nicht der Kopf abgerissen wird.“

Den Kopf riss Götze seinem Kritiker nicht ab, fragte eher verblüfft nach: „Das hat er gesagt? Ich bin der Meinung, dass ich genug trainiere.“ Und Genugtuung gegenüber seinem Bayern-Trainer ließ er sich auch nicht entlocken: „Ich spiele für mich. Ich lebe im Hier und Jetzt, bei der Nationalmannschaft.“ Am Morgen darauf sah sein Hier und Jetzt schon wieder anders aus: eher so nach FC Bayern und Pep. Wie nahe Götze der Abend wohl dennoch ging, zeigt sein Facebook-Post am Tag danach: „Danke für alles! An die Leute, die mich lieben und unterstützen, egal was passiert!“