Salem aleikum, Berlin!

Einwanderung Die syrischen Flüchtlinge verändern die Stadt – und die Stadt verändert sie. Auch wenn die meisten Menschen am liebsten so schnell wie möglich in die Heimat zurückkehren wollen: In der Hauptstadt wächst eine Community heran, die Wurzeln schlägt

Mindestens vier Millionen Menschen flüchteten seit Kriegsbeginn aus Syrien.Die Zahl der SyrerInnen in Berlin stieg bis Ende 2015 auf 18.119 Menschen

Von Alke Wierth

Sie werden immer sichtbarer in Berlin: Geflüchtete aus Syrien. Man sieht sie etwa auf der Neuköllner Sonnenallee, der sie wegen der vielen arabischen Geschäfte dort bereits den Namen „arabische Straße“ gegeben haben: Vor allem junge Männer, oft in Gruppen und optisch durchaus unterscheidbar von den dort alteingesessenen Arabischstämmigen ihrer Generation: die Kleidung – Sportjacken, Rucksäcke – robuster, auch die Frisuren funktionaler – Outfits für Leute, die lange Wege hinter sich und wohl auch noch vor sich haben.

2.144 syrische StaatsbürgerInnen lebten vor fünf Jahren, Ende 2010, in Berlin. Am 17. März 2011 dann gab es in Syrien bei Bevölkerungsprotesten gegen die Regierung erste Tote. Was als Revolution gegen das Regime begann, mündete in einen grausamen Krieg. Fünf Jahre später ist Syrien zu weiten Teilen in einem blutigen Chaos versunken, in dem Regierungstruppen Teile der eigenen Bevölkerung bombardieren und neben der Terrorarmee des sogenannten „Islamischen Staates“ immer weitere oft aus dem Ausland finanzierte Gruppen und andere Staaten mitkämpfen.

Mindestens vier Millionen Menschen flüchteten seither aus dem Land. Die Zahl der SyrerInnen in Berlin stieg bis Ende 2015 auf 18.119. Davor gab es etwa 70.000 Menschen arabischer Herkunftssprache in der Stadt.

Während anfangs vor allem Oppositionelle kamen, die sich in den Protesten gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad engagiert hatten und hier vor der Verfolgung durch dessen Polizei und Geheimdienste Schutz suchen, kommen seit der Eskalation der als Revolution begonnenen Proteste in einen Krieg mittlerweile auch viele Kriegsflüchtlinge, die in Bombenhagel und Hungersnöten um ihr Leben und das ihrer Familie fürchten.

Eines eint sie alle: Angst um Angehörige, die in umkämpften syrischen Gebieten, Flüchtlingslagern in Nachbarländern oder auf der Balkanroute festsitzen. Sorgen um die eigene Zukunft und die der Kinder in einem neuen Land mit anderer Kultur, Schrift und Sprache.

Was sie nicht mehr eint, ist die Haltung zum Assad-Regime: Längst flüchten auch Assad-AnhängerInnen aus den Kriegsgebieten nach Berlin oder Menschen, die nicht politisch engagiert waren. Doch egal, wen man fragt: Alle möchten zurückkehren, um ihr Land in Frieden wiederaufzubauen.

Und trotzdem ist es absehbar, dass in Berlin auch, wenn in Syrien einst wieder Frieden herrscht, eine große syrische Community bleiben wird. Die erwachsenen Flüchtlinge mögen in Syrien verwurzelt sein. Doch ihre Kinder werden hier geboren, besuchen Kitas und Schulen, wachsen mit der deutschen Schrift und Sprache auf. Beziehungen und Freundschaften entstehen, früh Gekommene unternehmen erste Schritte im Arbeitsleben. Mit den syrischen Flüchtlingen entstehen zudem eigene Strukturen, Netzwerke, eigene Vereine wie das Kulturcafé Salam im Wedding, Anlaufstelle für viele syrische Neuankömmlinge, oder die Radiosendung „Syrmania“ (siehe Interview). So werden Wurzeln geschlagen. Berlin ist um eine Einwanderergruppe reicher.