Regierungskoalition ohne Mehrheit

Brasilien Präsidentin Rousseff verliert mit der Mitte-rechts-Partei PMDB den wichtigsten Partner

Düstere Aussichten für Präsidentin Dilma Rousseff Foto: Eraldo Peres/ap

RIO DE JANEIRO taz | Es wird eng für Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. Ihr wichtigster Koalitionspartner, die Mitte-rechts-Partei PMDB, ist dabei, die Koalition zu verlassen. Rousseffs ohnehin angeschlagene Regierung verliert damit die Mehrheit im Kongress. Vor allem aber steigen damit die Erfolgsaussichten des Amtsenthebungsverfahrens, das die Opposition gegen Rousseff auf den Weg gebracht hat.

Tourismusminister Henrique Alves war der erste PMDB-Politiker, der bereits am Montag die Regierung verließ. „Der Dialog mit der Regierung hat sich erschöpft“, erklärte er zur Begründung. Auch Parteichef und Vizepräsident Michel Temer äußerte sich eindeutig: „Unsere Beteiligung an dieser Regierung ist vorbei.“ Die für Dienstag geplante formale Entscheidung über die Zukunft der PMDB in der Regierung gilt als reine Formsache.

Der Koalitionsbruch ist nur die letzte Hiobsbotschaft, mit der sich die frühere Guerillakämpferin Rousseff auseinandersetzen muss. Die Wirtschaft des Landes befindet sich in einer schweren Krise, mit schnell steigender Arbeitslosigkeit und einer Inflationsrate von über 10 Prozent. Die Basis der regierenden Arbeiterpartei PT murrt, weil Rousseff angesichts der Krise ihren meist rechten Koalitionspartnern entgegenkommt und auf eher neoliberale Instrumente zur Sanierung setzt. Ihr größtes Problem ist jedoch der Korruptionsskandal bezüglich des halbstaatlichen Erdölkonzerns Petrobras. Jahrelang soll ein Kartell von Bauunternehmen überteuerte Aufträge ergattert haben, wobei das Bestechungsgeld in die Kassen von Parteien und korrupten Politikern floss. Zahlreiche Manager und Politiker wurden bereits verurteilt, gegen über 50 Abgeordnete und Senatoren wird ermittelt.

Seit ihrer Wiederwahl im Oktober 2014 versucht die Opposition, das Wahlergebnis auf anderem Weg rückgängig zu machen – die PT bezeichnet dieses Vorgehen als „dritten Wahlgang“ und seit Kurzem als versuchten Staatsstreich. Vor allem die Massenmedien lassen kein gutes Haar an der Regierung. Weit über zehn Anträge auf Amtsenthebung wurden bislang im Parlament eingereicht, der letzte am Montag von der renommierten Anwaltsvereinigung OAB.

Einen dieser Anträge akzeptierte Parlamentspräsident Eduardo Cunha. Der PMDB-Politiker ist erklärter Feind von Rousseff und hat ihrer Regierung schon vor Monaten den Rücken gekehrt.

Auch gegen Cunha wird ermittelt, er soll Millionen illegaler Gelder auf Auslandskonten bunkern.

„Der Dialog mit der Regierung hat sich erschöpft“

Tourismusminister Henrique Alves

Die PMDB, eine profillose Partei, die ob ihrer großen Klientel schon vielen Regierungen als Mehrheitsbeschaffer diente, richtet sich bei ihrer Entscheidung nach der Stimmung im Land. Millionen sind bereits gegen Rousseff auf die Straße gegangen, ihre Beliebtheitswerte pendeln um die zehn Prozent. Die Regierung befürchtet, dass der Austritt der PMDB bei weiteren kleinen Koalitionspartnern einen Dominoeffekt auslösen wird. Die Zweidrittelmehrheit, die für die Amtsenthebung in Parlament und Senat notwendig ist, rückt damit näher.

Vizepräsident Temer würde Rousseff beerben. Er führte bereits Sondierungsgespräche mit der konservativen Opposition, die zu einer Duldung bereit scheint. Erwartet wird eine stramm rechte Regierung, die angesichts der Krise die schüchternen Sozialprogramme kürzen würde. Die PT und soziale Bewegungen wie die Landlosen vom MST erklärten bereits, dass eine Regierung Temer keinen Frieden haben werde. Kurz vor den Olympischen Spielen stehen Brasilien unruhige Zeiten bevor. Andreas Behn