Okkultisten und Pataphysiker: Gastbesuch weiter weg im "Zum letzten Schluck" und bei Pere Ubu
: Historische Quengelgeräusche

Ausgehen und Rumstehen

von Thomas Mauch

Die Anziehungskraft der großen Stadt merkt man so recht doch erst, wenn man anderswo allein aus dem Zug steigt.

Über die Feiertage ging es also raus aus Berlin und aufs Land, knappe drei Stunden mit der Bahn nach Weida, einem traditionsreichen Städtchen in Thüringen. „Wiege des Vogtlandes“. Schmuck herausgeputzte Altstadt, von drei Läden stehen hier zwei leer. Auch der Konkurs- und Insolvenzwarenladen scheint seit Längerem bereits geräumt.

Ein Sehnsuchtsort, wenn man mal durch eine Stadt flanieren will, ohne dabei tatsächlich gleich Menschen zu begegnen.

Ausgehen in Weida heißt andererseits erst mal, eine Kneipe zu finden, die trotzig den Betrieb aufrechterhalten hat. Im „Zum letzten Schluck“ sitzt dann eine Handvoll Wirklichnichtmehrjugendlicher rund um den Tresen. Einer trägt seine „Sons of Anarchy“-Kutte.

Unter Okkultisten aber genießt Weida natürlich beträchtlichen Ruhm wegen der Weida-Konferenz: Im August 1925 traf sich im Thüringischen die deutsche Rosenkreuzerbewegung, um den schillernden britischen Okkultisten und Bergsteiger Aleister Crowley zum Weltheiland auszurufen. Hat so nicht geklappt. Im Verlauf der Konferenz spaltete sich die Bewegung.

Das Gesetz der Masse

„Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz“, war die Losung des später bei Rockern wie den Stones und Led Zeppelin recht beliebten Aleister Crowley.

Sonntag zurück in Berlin, Aus- und Einsteigen in den Zügen immer gleich als Masse.

Am Abend spielten Pere Ubu in der Volksbühne. David Thomas kam mit Stock auf die Bühne getapert und ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen, wo er dann im Lauf des Konzerts wie ein Mehlkloß in sich versunken saß und zwischendurch doch wieder zuckte und zappelte auf dem Stuhl. Immer mehr scheint der Pere-Ubu-Vorstand, Jahrgang 1953, einer Figur aus dem Kosmos von Charles Dickens zu gleichen. Gut könnte man sich David Thomas auch als einen interessierten Beobachter besagter Weida-Konferenz vorstellen – immerhin hat seine Band ihren Namen dem Ubu-Theaterstück von Alfred Jarry entlehnt, diesem absurdistischen Pataphysiker.

Jedenfalls waren Pere Ubu seit je ein eher absonderliches Beispiel einer Rockband. Schon ganz am Beginn in den Mittsiebzigern mehr Dada als Punk, was sich im Weiteren mit Freigeist-Jazz, selbst gebastelter Neuer Musik und anderen Quengelgeräuschen mischte in der historischen ersten Pere-Ubu-Phase bis 1982, die auch auf dem Programmzettel am Sonntag in der Volksbühne stand.

Die alten Lieder. Leidenschaftlich straffe Rocker, zerzauste Bekenntnisse. Zusammengehalten von David Thomas mit seiner wunden Comic-Stimme. Wobei man in der Volksbühne nie das Gefühl hatte, hier einer Séance beizuwohnen, in der der Geist der alten Lieder beschworen werden sollte. Nie hatte man das Gefühl, dass die Band zeigen wollte: Seht, so jung und ungestüm, auch das waren mal wir!

Eher war es an diesem Abend so, dass hier die alten Lieder schlicht zur Aufführung kamen. Weil sie halt weiter noch da sind und was taugen. Eine Ausstellung. Theater.

Und natürlich eine Werbemaßnahme: Mit diesem Liederabend im Rahmen der aktuellen „Coed Jail!“-Tour von Pere Ubu soll schließlich auch an das gerade in einem Box-Set wiederveröffentlichte Frühwerk der Band erinnert werden.

Das Publikum erinnerte sich gern. Zwei Zugaben. Die zweite so knapp und harsch formuliert, dass allen im Saal klar werden musste, dass man den doch etwas hinfälligen Mann mit dem Stock nun wirklich nicht noch ein weiteres Mal auf die Bühne bitten dürfe.