Belgien

Zwei Brüder sind als Selbstmordattentäter identifiziert. Die Belgier
trauern um die Opfer – lassen sich aber nicht unterkriegen

Auch im Leid wird gelacht

Haltung Der Terror ist ins Land von René Magritte gekommen, und das soll er merken: Der „bruseleer“ Esprit, gutmütig und humorig, lässt sich nicht wegbomben

Nach der Schweigeminute: ein Mann auf dem Brüsseler Börsenplatz am Mittwoch Foto: Martin Meissner/ap

Aus Brüssel FranÇois Misser

Kerzen. Stofftiere. Blumen, viele Blumen. Über tausend Menschen stehen auf dem Börsenplatz in Brüssel und drücken ihre Gefühle durch Mitbringsel aus, die sie auf den Boden legen – Touristen, aber auch viele Belgier.

Auf dem Boden, ausnahmsweise an diesem Dienstagabend nicht regennass, ist ein Kaleidoskop aus Bildern und Parolen zu bewundern, mit Kreide gemalt. „Je suis Bruxelles – Ik ben Brussel“ steht da, „BXLove“. Oder auch „Bruxelles ma belle“, der bekannte Songtitel des Niederländers Dick Annegarn aus den 70er Jahren im Stil des berühmtesten belgischen Musikers, Jacques Brel – übrigens ein Lied, das von Enttäuschung über Paris handelt.

Europas Hauptstadt lässt sich nicht unterkriegen. In Karikaturen löscht Brüssels Wahrzeichen, das „Manneken Pis“, einen Sprengsatz mit seinem Urinstrahl. Eine einfachere Variante zeigt die Springbrunnenfigur des pissenden Männchens mit der Legende „Still Pissing“, in einer anderen wendet er sich während seines Geschäfts an einen Terroristen und sagt: „Hier, ein Geschenk aus Belgien.“

Der leicht surrealistische Bezug der Brüsseler zum Leben und zum Alltag prägt die Reaktionen auf die Terroranschläge vom 22. März. Es sieht nur auf den ersten Blick aus wie in Paris in den Tagen nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo.

Man sammelt sich auf einem zentralen Platz. Man will sich zeigen. Man will Öffentlichkeit herstellen, nicht zu Hause hocken, gelähmt von der Angst. In Paris war das vorherrschende Gefühl das der Unbeugsamkeit, des Widerstands: „Paris wird immer Paris bleiben.“ In Brüssel gibt es das auch, aber man präsentiert es ironischer, weniger hochtrabend. Auch im Leid lacht man, und zwar auch über sich selbst. Eine in Brüssel lebende Französin bringt es auf den Punkt: „Wir pissen ihnen (den Terroristen) in den Arsch. Im Zickzack.“

„Ich bin gekommen, um zu sagen: Scheiße! Das lassen wir uns nicht bieten!“ sagt auf dem Börsenplatz eine blonde Frau. Ein junges Mädchen ruft: „Wir nehmen das nicht einfach hin! Wir verteidigen unsere Stadt – wir feiern weiter!“ Brüssel hängt an dem, was man hier guindaille nennt, eine etwas anarchische und völlig harmlose Dauerfete. Es geschehen erstaunliche Dinge. Ein marokkanischer Taxifahrer fährt den ganzen Tag kostenlos Anschlagsopfer.

Der Terror ist ins Land von René Magritte gekommen, und das soll er merken. Der „bruseleer“ Esprit, gutmütiger und humoriger als der Pariser, lässt sich nicht wegbomben. Auf den Punkt bringt es die in Rosa gemalte Parole „même pas peur!“, Keine Angst. Am meisten verbreitet, sogar im Fernsehen, ist die Hand aus Fritten, deren mittlere den Stinkefinger zeigt. Sicher, die panischen Schreie der in der explodierten U-Bahn von Maelbeek eingekeilten Verletzten hat jeder noch im Ohr, es gibt Tränen, die großen Trauerfeiern kommen noch. Aber es gibt bereits den Widerstand durch Schulterschluss und Hohn.