Stimulanz ist alles, Kunst kaum etwas

Körper Felix Ruckerts Studio Schwelle7 ist ein einflussreiches Labor für BDSM, Shibari und andere Sextechniken. Nun wurde ihm gekündigt

„May I kiss your feet? “, fragt der ältere, kniende Herr in Dragqueen-Garderobe und verlagert sein Gewicht so nach vorne, dass er sein Angebot beinahe wahrmachen kann. Verschlossenes, etwas verzweifelt wirkendes Gesicht der Angebeteten, der die Rolle der Schönheitskönigin zugewiesen wurde. „Du kannst auch Nein sagen“, kommen ihr die teils mit Umschnalldildos geschmückten Umherliegenden zu Hilfe. „Nein“, sagt sie also.

Nein sagen zu können, ist wichtig bei den BDSM-Workshops, PlayPartys und „Xplore“-Festivals, die Felix Ruckert in seinem Sexualforschungs- und Lebenskunstort Schwelle7 veranstaltet. Seit 2007 unterhält der ausgebildete Tänzer, der bis dahin zu den international erfolgreichsten Choreografen Berlins zählte, das 500 Qua­dratmeter große Weddinger Loft. Pro Jahr buchen mehrere Tausend Leute Kurse. Für die japanische Fesselkunst Shibari wird Schwelle7 als europäische Topadresse gehandelt, immer wieder ziehen temporär Leute zum Wohnen ein.

Aber nun ist der Vermieter mit Neinsagen dran. Laut Ruckert liegt das an der Künstlerin Tatjana Doll, die vor zwei Jahren das darunterliegende Loft anmietete. Zwar habe sie gewusst, worauf sie sich einlasse, aber dann doch Beschwerde wegen Lärms eingereicht. Der Vermieter habe sich letztlich auf ihre Seite geschlagen. Dass Choreografen von Bildenden Künstlern verdrängt werden, ist kein Einzelfall: Christoph Winkler und dem Kollektiv Phase7 ging es zwei Häuserkomplexe weiter, in den Uferhallen, genauso. Generell sind Tanzstudios rar und werden obendrein ob lukrativer Mietpreisgeschäfte ausgebootet. Aktuell kämpfen etwa auch Isabelle Schad und Laborgras um ihre Räume – aber das ist ein Thema für sich.

Felix Ruckert verliert durch die Kündigung einen selten schönen, selbst renovierten, gut gepflegten Arbeits- und Lebensraum. Nun lässt er sich, ausgestattet mit 200.000 Euro Crowdfundingmitteln, auf einen Neuanfang ein. Mit dem Abschied von Schwelle7 versucht er, sich als Choreograf zurückzumelden. Zweimal zeigte er am letzten Wochenende, jeweils zehn Stunden lang, „Radikal_Glücklich_schwelle7_das Stück“ – eine partizipatorische Choreografie, mit der er die Erfahrungen der letzten Jahre bündeln will.

Das geht daneben

Das geht künstlerisch daneben. Die Workshopmethoden, mittels deren die Choreografie aufgebaut wird, sind in ihrer Mischung aus Wir-haben-uns-lieb-Attitüde, systemischer Aufstellung, Shibari für Anfänger, Tanz- und Theaterbasics zu unspezifisch, der gemeinsam erarbeitete Score ist nicht tragfähig: Einerseits, weil es auf künstlerisch unentwickelten didaktischen Mitteln aufbaut, andererseits, weil die Mitmach- samt Animator*innen-Community an einer Stückidee kein großes Interesse hat. Schon eher an erotischer Affektgenerierung. Stimulanz ist alles, Kunst kaum etwas. So sind die Bondage-Aufhängungen wenig raffiniert, das auf einer Picknickdecke zelebrierte Würstchen-mit-Senf-Essen mit anal eingeführter Zucchini und vaginal eingeführtem „Würstchen“ steht in fototapetenexpliziter Deutlichkeit dafür, dass sexuelle und künstlerische Fantasie so weit auseinanderliegen können wie Porno und Hieronymus Bosch.

Felix Ruckert will der „westlichen“ Sexualtheorie eine Kunst der sexuellen Praktik an die Seite stellen. Man könne, meint er, die Sexualität nicht der Industrie überlassen. Keine Frage. Aber Körperrituale in die Kunst zu überführen, das gelingt anderen derzeit besser als ihm selbst. Astrid Kaminski