Zeit zum Ausnüchtern

2005 wird ein schwieriger Jahrgang, meint der Burgenländer Claus Preisinger. Und das sei gut. So könnten Wein und Winzer durchatmen

VON TILL EHRLICH

Der weiß gestrichene Raum wirkt so nackt, dass man trotz des milden Herbsttages im Burgenland leicht fröstelt. Claus Preisinger, die Neuentdeckung unter den österreichischen Winzern, schaut auf die kahle Wand im Keller seines Weinguts im Osten des Landes und sagt: „Diesmal wird es kein großer Wurf.“

Er redet vom Jahrgang 2005, der zum Großteil geerntet ist und in den Kellern gärt. Preisinger erzählt vom Regen. Monat für Monat. Immer und immer wieder. Viele Trauben hat er an die Nässe verloren. Wenn es regnet und dabei warm bleibt, so wie in diesem Sommer und Herbst, kommt die Fäulnis über die Weingärten. Unaufhaltsam. Es kommen Pilzkrankheiten, für die die Weinreben anfällig sind, gegen die sie keine Abwehr haben, auch weil der Wein eine Monokultur geworden ist.

Anfällig, hinfällig und abhängig vom Menschen. Wegen der Schadstoffe darf er die Trauben vor der Ernte nicht mehr gegen Pilzbefall spritzen. Also sind die Trauben vor der Ernte – und mit ihnen die Arbeit eines ganzen Jahres – stark gefährdet. „Viele Weinberge sind regelrecht im Regen ersoffen“, sagt der 25-Jährige. Auch jetzt, da schon fast alles geerntet ist, stünden viele Weinberge im Gebiet teilweise immer noch im Nassen. Manche Rebblätter hätten sich rot gefärbt. Was für Außenstehende hübsch und gesund aussieht, ist für die Winzer ein Zeichen für Mangel, ein Symptom dafür, dass es den Pflanzen nicht gut geht.

Preisinger sagt, dass er dieses Jahr viel schneller mit der Ernte fertig geworden ist als in den Jahren zuvor, dass er die Trauben nicht immer bis zu ihrer vollen Ausreifung hängen lassen konnte und frühzeitig ernten musste, um dem Schlimmsten zuvorzukommen, damit nicht alle Trauben vom Schimmel infiziert wurden. Er konnte viel weniger als im Vorjahr ernten. Hat die guten Trauben per Hand aussortiert, um wenigstens passable Qualitäten zu bekommen. Nur aus gesunden Trauben wird guter Wein.

In den letzten Jahren hat Österreichs Weinwirtschaft einen enormen Boom erlebt. Die ganze Branche ist hysterisch expandiert. Ein Jahrgang wurde vom nächsten übertroffen, fast jeder Jahrgang wurde von Marketing und Fachpresse zum „Jahrhundertjahrgang“ hochgejubelt. Die Preise stiegen parallel zur Nachfrage. Und der Boom hatte auch positive Effekte, hat das Bewusstsein für hochwertige und handwerkliche Weine geweckt. Bei Verbrauchern ebenso wie bei Produzenten.

Dem Rausch folgt nun die Ernüchterung. „Vielleicht ist es gar nicht schlecht, dass die Winzer und der Markt innehalten und darüber nachdenken, dass nicht alles super ist“, sagt Preisinger und entkorkt eine Flasche von seinem letzten Jahrgang 2004. Rot gluckst der Wein ins Glas. Erleichterung stellt sich ein, jetzt, da die erste große Euphorie, die allzu heftig empfundene Freude, abklingt. Gut, wenn die Hysterie des „Schneller, höher, weiter“ mal ein Ende hat. Wer ist der beste Winzer? Wie heißt der neue Shootingstar? Wer hat den besten Wein? Das waren Fragen, die die österreichische Weinszene der vergangenen Dekade dominierten. „Es ist gut, nun wieder nach unten zu kommen“, sagt Preisinger und schnuppert nachdenklich am Glas.

Der junge Winzer wird in Österreich gerade als einer der interessantesten „Newcomer“ gefeiert. „Paradigma“ nennt er selbstbewusst sein Spitzenerzeugnis. Ein roter Charakterwein, der vor zwei Jahren von der österreichischen Fachpresse zum Wein des Jahres ausgerufen wurde. „Die Entwicklung war steil, ich selbst hätte nie gedacht, dass es so schnell geht.“ Das hat Claus Preisinger geholfen, dessen Weingut damals gerade im Entstehen war. Aber er hat sich nicht verführen lassen von den schnellen Lorbeeren der Fachwelt. Er hat sich weiter auf seine Weine konzentriert, auf die Arbeit in den Weingärten und im Keller.

Mit neunzehn Jahren ist Preisinger nach Kalifornien gezogen, gleich nach dem Abitur: „Reißaus und weg von hier.“ Die frühe Erfahrung im US-amerikanischen Weinbau hat ihn geprägt. Er ging zu „Limerick Lane Cellars“ in Hillsbury, einem ordentlichen kleinen Betrieb im oberen Teil des Sonoma Valley, der auf individuelle Weine spezialisiert ist. Dort lernte er auch jene kalifornischen Weinmacher kennen, die sich als Gegenbewegung zur amerikanischen Weinindustrie verstehen. Und er lernte die dunkle Seite der Macht dort kennen, die internationale Weinindustrie, das Big Business. Es waren die großen Weinraffinerien globaler Weinkonzerne wie Mondavi und Gallo, die damals begannen, mit High-Tech-Weinen und globalen Marketingstrategien internationale Standards des Weingeschmacks festzulegen.

Hier, in Kalifornien, beginnt Claus Preisinger, die ganze Biotechnik zu hinterfragen, die damals im kalifornischen Weinbau Einzug hielt, etwa mit genmanipulierten Hefekulturen und Enzymen. Er ist davon überzeugt, dass er all das nicht braucht, um interessante Weine zu machen. Und er guckt sich von den kalifornischen Weinindividualisten ab, wie man improvisiert, lernt die Kunst, mit wenig Technik ausdrucksvolle Weine zu keltern.

Zurück in Österreich, beginnt er nun selbst zu improvisieren. Die Situation gleicht jener, die er bei der kalifornischen Weinavantgarde beobachtet hat: „Wie mache ich ohne Kapital einen vernünftigen Wein?“ Vier Hektar Rebland übernimmt er von seinem Vater, der darüber erleichtert ist. Inzwischen sind fast zehn weitere Hektar hinzugekommen. Preisinger ist zudem immer auf der Suche nach guten Weingärten mit alten Reben, denn diese Verbindung ist die Voraussetzung für jenen Stoff, aus dem seine kraftvollen Weine gewoben sind. Sie beeindrucken mit ihrer Saftigkeit und dem natürlichen Ausdruck. Es sind ungekünstelte Weine, die natürlich und lebendig wirken.

Claus Preisingers erste Jahrgänge entstehen mit primitivsten Mitteln, auch weil er kein Geld für Besseres hat. Aus der Not entstehen Weine mit eigener Stilistik, die schnell für Aufsehen sorgen. „Ich bin der lebende Beweis dafür, dass es ohne neue Technik geht.“ Also ohne Frankenstein-Technologien, wie Mostkonzentration oder Mikrooxidation, mit denen immer mehr Spitzenweine auch in Österreich poliert und aufgebläht werden.

Preisinger geht bei der Weinbereitung einen eigensinnigen Weg, der offen ist für die Unvorhersehbarkeit jedes Jahrgangs. Die klimatisch bedingten Schwierigkeiten begreift Preisinger als Herausforderungen, denen er sich stellen will. „Ich ziehe kein Konzept durch“, sagt er. Weinmachen ist für ihn eher ein Mosaik, das ihn ständig vor Entscheidungen stellt, die er spontan und ohne Zögern aus dem Bauch heraus treffen muss. „Jeder Wein bringt mich an eine Weggabelung. Es kann nach links oder rechts gehen.“ Er versucht, zu jeder Charge einen individuellen Zugang zu finden. „Wenn ich spüre, dass er noch länger im Fass reifen muss, dann lasse ich ihn in Ruhe. Der Wein entscheidet.“ Es gibt kein starres Konzept.

Je mehr sich die kalifornischen High-Tech-Methoden in Österreich und Europa ausbreiten, desto konsequenter muss Preisinger arbeiten. Es ist ein Weg in die Nische, weg vom Massengeschmack. Nur dort sieht er eine Zukunft für seinen Weinstil. Es ist auch ein Weg, der zwangsläufig zu immer radikaleren Weinen führt. Seit jüngster Zeit zum biodynamischen Weinbau. „Für mich ist das die höchste Form der Weinkunst“, sagt er mit Nachdruck. Im Frühjahr hat er damit begonnen, seine Weingärten umzustellen. Doch bis er unmittelbar mit der Natur am Weinberg arbeiten kann, weitgehend ohne chemische und technische Hilfsmittel, muss er noch einiges hinter sich bringen. Besonders in schwierigen Jahrgängen wie 2005. „Es ist eine Umstellung für die Rebe und auch für mich“, sagt er. Doch er scheint das Risiko zu brauchen, es hält ihn wach. Und in Bewegung. „Ich will Wein machen, so ehrlich es geht. Jedes Jahr neu beginnen.“ Er will dem Wein Raum lassen und denen, die ihn trinken. „Der Wein drückt mich und meine Art aus, den Rest kannst du dir eh selbst denken.“

TILL EHRLICH, 40, ist freier Autor in Berlin. Soeben ist von ihm ein Weinführer erschienen: „500 Weine unter 10 Euro 2006“, Hallwag München, 304 Seiten, 14,90 Euro