Diskursfähige Überschneidungen zwischen Islam und Disco, privatem Körper und öffentlicher Wirkung, Verhüllen und Ausstellen
: Wir ziehen in die nächste Bar – wo Mitte ganz plötzlich aufhört

Ausgehen und Rumstehen

von Jenni Zylka

Gutgläubige haben gleich zwei Topfpflanzen zum Hüten über die Ostertage bei mir abgestellt, die eine sieht aus wie ganz junger Zierrasen, Sorte Festuca nigrescens (Horstrotschwingel), die andere wie ein schlapper Kaktus ohne Stacheln. Alle zwei Stunden überprüfe ich, ob sie schon vertrocknet sind – normalerweise muss ich meine schwarzen Daumen nur in die Richtung einer Blume wedeln, und sie gibt auf. Am Freitag überlege ich darum lange, ob ich mich zur Vernissage in die Laura Mars Gallery trauen soll – was, wenn den Pflanzen etwas zustößt?! Und ich wegen Ladenschließzeiten am Wochenende nicht heimlich Ersatz besorgen kann, wie sonst bei solchen Fällen? Doch schließlich überwiegt die Neugier, und wir gehen anschauen, was die Fotografin Stephanie Kloss aus Ägypten mitgebracht hat: Gizeh-Pyramiden vor irren Himmelsfarben. Im nächsten Raum lässt Kloss ein Video gegen eine große Hängeleinwand projizieren, auf dem die Tänzerin Anne Retzlaff in einem silberfarbenen Ganzkörpertschador Ausdruckstanz betreibt, dass es nur so glitzert, und das ergibt hübsche diskursfähige Überschneidungen zwischen Islam und Disco, privatem Körper und öffentlicher Wirkung, Verhüllen und Ausstellen. Ein bisschen wippen wir mit und freuen uns über die Musik von Gordon Raphael, der ja gern kiloweise Rock ‘n‘ Roll frühstückt, hier aber eher elektronische Regler schob. Dann schleichen wir an der Leinwand vorbei ins Allerheiligste, in dem Galeristin Gundula die Cremantvorräte versteckt und Laura Mars-Honig anbietet, der nicht „Kunsthonig“ heißt. Er schmeckt nach Linde, Himbeere und Brombeere, ganz so, wie die glücklichen Bienen es sich beim souveränen Herumsummen ausgesucht haben.

Am Samstag leben die Topfpflanzen immer noch, und aus Freude darüber spendiere ich ihnen je ein Schnapsglas überteuertes Designermineralwasser, das neulich jemand bei uns vergessen hat. Mit dem Rest aus der Flasche putze ich das ganze Haus, und wenn davon was übrig bleibt, dann koch ich Kaffee draus, wie im Lied „Ich hab ‘ne Tante Frieda“. Aber abends treffe ich mich in einer Mitte-Bar zum Champagnertrinken, denn „when in Rome, do as the Romans do“, bzw. when in Mitte, do as the yuppies do. Wir essen kleine Karottenküchlein, aus denen uns eine herrliche Füllung entgegengelaufen kommt, die man nur mit dem selbst gemachten Eis auf dem Teller stoppen kann, und ziehen gen 1 Uhr in eine andere Bar weiter. Doch hier hört Mitte ganz plötzlich auf: Die andere Bar schließt gerade, obwohl Samstagabend ist und die Thekenkräfte kleine Italiener sind – ich dachte die könnten unbegrenzt wach bleiben und feiern, weil sie diese lange Mittagsruhe haben?! Pisolino? Um meine umfänglichen Italienischkenntnisse zu beweisen, singe ich den Thekenkräften vor: Zieh dich nicht aus, amore mio / komm doch nach Haus, amore mio / bei jedem Glas, amore mio / werd ich ganz blass, amore mio, dann werfen die kleinen Italiener uns raus, vielleicht weil wir auch schon ganz blass sind.

Aber der Sonntag will dennoch herumgebracht werden: Mit dem 80. Geburtstag von Lee Scratch Perry, dem Wenzel Storch des Dubreggae, dem Vegard Vinge des Bühnen-Armageddon, der sich äußerlich sukzessive der niedlichen, mit Moos bewachsenen Schildkröte aus dem Feenwald bei „Snowwhite and the Huntsman“ annähert. Im Yaam wird die brandneue Doku „Vision of paradise“ von Volker Schaner gezeigt, der den Meister 15 Jahre lang begleitet, und Bilder, O-Töne und psychedelische Comics zu diesem hübschen, angemessen spinnerten Film zusammengemischt hat. Noch nicht mal Kiffen braucht man dafür, denn, Zitat Lee: „If I smoke Ganja anymore I get too smart“. Genau!