Flucht

Der Flüchtlingspakt zwischen EU und Türkei ist in Kraft. Aus ­Griechenland kommt Kritik, die Schutzsuchenden sind verzweifelt

Einer für dich, einer für mich

Pakt Seit Sonntag ist das EU-Türkei-Abkommen in Kraft. Jeder neu einreisende Syrer soll zurück in die Türkei. Doch mit der Umsetzung hapert es noch. Es fehlen Geld, Personal und ein echter Plan

Ein neues Idomeni entsteht: Tausende Flüchtlingsfamilien kampieren unter offenem Himmel in Piräus bei Athen Foto: Yorgos Karahalis/ap

Aus Athen Theodora Mavropoulos

„Das Abkommen zwischen EU und Türkei zeigt, dass Schutzsuchende in der EU nicht willkommen sind.“ So deutlich äußerte sich Giorgos Kyritsis, Sprecher der Koordinationszentrale für Einwanderungspolitik der griechischen Regierung, am Sonntag gegenüber der taz. Das am Freitag in Brüssel beschlossene Flüchtlingsabkommen zwischen EU und Türkei lasse am Bestehen des europäischen Grundgedanken zweifeln.

Abschrecken, abschieben

Auch Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Beschlüsse zur Abschiebung: Die Türkei sei für Flüchtlinge kein sicheres Land, die Abschiebung dorthin illegal und unmoralisch. So betont Kyritsis denn auch: „Die Beschlüsse sind ein Abkommen zwischen EU und der Türkei – nicht zwischen Griechenland und der Türkei.“

Seit Sonntag ist der Plan in Kraft. Das heißt: Alle Flüchtlinge, die ab diesem Zeitpunkt auf den griechischen Inseln ankommen, werden zurück in die Türkei gebracht. Die EU nimmt der Türkei im Gegenzug vorerst bis zu 72.000 syrische Flüchtlinge ab. Syrer machen etwa die Hälfte der Schutzsuchenden in der EU aus. Die Flüchtlinge sollen so abgeschreckt werden, mithilfe von Schleppern über die Ägäis illegal in die EU einzureisen. Diejenigen, die dennoch in die EU flüchten und zurück in die Türkei gebracht werden, müssen sich dann nach ihrer Abschiebung in der Wartereihe hinten anstellen. Sie wurden zuvor als „illegal eingereist“ registriert. Auch das soll abschreckend wirken. Eine erste Abschiebung aus Griechenland in die Türkei ist für den 4. April geplant. Zuvor haben die Menschen das Recht auf eine Einzelfallprüfung in Griechenland.

Die Theorie steht. Doch praktisch herrscht Ratlosigkeit. Die Beschlüsse innerhalb von 24 Stunden in die Tat umzusetzen sei nicht möglich, so Kyritsis gegenüber der taz. Zwar habe Ministerpräsidien Alexis Tsipras auf eine zügige Umsetzung des Abkommens gedrängt. „Doch weder die beantragten EU-Flüchtlingshilfsgelder noch das dringend benötigte Personal sind bisher eingetroffen“, so Kyritsis. Man warte auf das von der EU zugesicherte Personal, um die Asylgesuche zügig bearbeiten zu können – Übersetzer, Experten für Asylfragen, Anwälte und Polizisten.

Nach Einschätzung der EU-Kommission braucht man Unterstützung von etwa 4.000 MitarbeiterInnen. Allein schaffe Griechenland das nicht. Doch zahlreiche Fragen in der Umsetzung seien noch offen. So ist bisher nicht geklärt, wie sich die jeweiligen EU-Staaten an der Aufnahme der syrischen Flüchtlinge beteiligen.

Die Inseln werden geräumt

Vertreter der internationalen Geldgeber haben die Prüfung der Fortschritte der griechischen Reformbemühungen ohne konkretes Ergebnis beendet und sind vorerst abgereist. Es habe erhebliche Unstimmigkeiten gegeben, berichtete die griechische Presse am Sonntag.

Die EU-Kommission in Brüssel gab eine ganz andere Einschätzung ab. "Es gab deutliche Fortschritte bei der Einkommensteuerreform", sagte eine Sprecherin der Behörde. (dpa)

Nach aktuellen Angaben der Koordinationszentrale sitzen mittlerweile 48.141 Flüchtlinge in Griechenland fest. Momentan werden die Inseln geräumt. Tausende Flüchtlinge sollen aufs Festland gebracht werden, um sie besser von den Neuankömmlingen unterscheiden zu können. Zwar sind weitere Auffanglager in Planung, so ein Regierungssprecher. Doch die aktuellen Kapazitäten reichen schon lange nicht aus. So harren mittlerweile etwa 5.000 Flüchtlinge am Hafen von Piräus in Lagerhallen und einfachen Zelten aus – darunter zahlreiche Familien mit Kleinkindern.

Die Menschen werden mit Nahrungsmitteln und Decken von unterschiedlichen NGOs und von Privatpersonen versorgt. Doch die hygienischen Bedingungen sind schlecht – zu wenige Duschen und Toiletten sind für die Menschenmassen verfügbar. „Hier entsteht ein zweites Idomeni“, fasst am Sonntagmorgen eine Reporterin des griechischen TV-Senders Skai aus Piräus die Situation zusammen. Auch nach den Beschlüssen reißt die Zahl der Flüchtlinge auf die griechischen Inseln in der Ostägäis nicht ab.

„Bisher zahlt Griechenland die Unterstützungsmaßnamen für die Flüchtlinge aus eigener Tasche“, so Kyritsis. Das sei eine enorme Belastung für das eh schon krisengeschädigte Griechenland. Eine schnelle Hilfe Europas sei mehr als notwendig.

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