Die Nagelprobe

Abstiegskampf Während der Privatdorfklub aus dem Kraichgau das Feld von hinten aufrollt, muss sich der chancenreiche, aber torarme HSV nach dem 1:3 gegen die TSG wieder einmal nach unten umschauen

Respekt, wer’s selber macht: Nagels- und Baumann Foto: dpa

Aus Hamburg Hendrik Buchheister

In der Schlussphase ging es im dünn besetzten Gästeblock des Volksparkstadions zu wie bei einem Rockkonzert im Jugendzentrum. Die Fans der TSG Hoffenheim sprangen wild durcheinander, schubsten sich im Spaß und feierten mehr als einfach nur den 3:1-Erfolg in einem zeitweise turbulenten Spiel gegen den Hamburger SV. Sie feierten, dass die Mannschaft ihren Aufwärtstrend bestätigte und zum ersten Mal seit dem achten Spieltag die direkten Abstiegsplätze verlassen hatte. Die Hoffenheimer waren zwischenzeitlich schon abgeschrieben, doch spätestens seit dem Sieg beim HSV sind sie wieder mittendrin im Rennen um den Klassenerhalt und dürfen sich berechtigte Hoffnungen machen, auch in der kommenden Saison in der Bundesliga anzutreten.

Der Mann, der die Hoffnung zurückgebracht hat nach Hoffenheim, stand nach dem Spiel vor einer Gruppe von Reportern und berichtete, dass seine Mannschaft schon nicht übermütig werden würde, zur Not müsse er die Tabelle ausdrucken und in der Kabine aufhängen. Unter Julian Nagelsmann, dem 28 Jahre jungen Trainer, haben die Hoffenheimer vier von sieben Spielen gewonnen. In Hamburg gelang der erste Auswärtssieg unter dem neuen Mann, der eigentlich erst in der neuen Saison übernehmen sollte. Wegen der gesundheitlichen Probleme von Huub Stevens trat Nagelsmann sein Amt früher an als geplant, und wie es aussieht, macht sich der unfreiwillig vorgezogene Wechsel auf der Trainerbank bezahlt für den Klub.

Unter Nagelsmann wird Hoffenheim wieder ein bisschen mehr Hoffenheim. Der Klub nähert sich wieder dem Ideal des Offensivfußballs an, mit dem er in den ersten Jahren der Bundesliga-Zugehörigkeit das Establishment aufgemischt hatte. „Wir strahlen wieder unsere wichtigste Tugend aus, die Torgefahr“, sagte Manager Alexander Rosen nach dem Sieg in Hamburg. Mit dem in der Winterpause von Leicester City geliehenen Andrej Kramarićist den Hoffenheimern ein Glücksgriff gelungen. Der kroatische Angreifer hat schon vier Tore für den neuen Klub geschossen, drei davon in den vergangenen drei Spielen. Gegen den HSV traf er per Elfmeter zum 1:0 nach der Notbremse von Hamburgs Torwart René Adler gegen Kevin Volland, die von Schiedsrichter Knut Kircher zur allgemeinen Verwunderung nicht mit der roten Karte geahndet wurde.

Auch Volland blüht unter Nagelsmann auf, traf in Hamburg mit seinem siebten Saisontor zum 2:0 durch einen indirekten Freistoß aus kurzer Distanz, der Erinnerungen weckte an das Meisterschaftsfinale 2001, in dem Bayern München den FC Schalke 04 durch Patrik Anderssons Treffer in der Schlussminute der Nachspielzeit an gleicher Stelle zum Meister der Herzen degradierte. Dass der eingewechselte Eduardo Vargas später das entscheidende 3:1 schoss, zeigt, dass die Hoffenheimer auch von der Bank aus noch Impulse setzen können. „Wir wollen da unten raus. Wir haben die Qualität und den Teamgeist dafür“, sagte Verteidiger Niklas Süle über die neue Zuversicht im Abstiegskampf.

Der Aufschwung seiner Mannschaft trägt dazu bei, dass im Tabellenkeller ein Gedränge herrscht wie in der Fußgängerzone am verkaufsoffenen Sonntag. Schlusslicht Hannover dürfte nicht mehr zu retten sein, doch für Eintracht Frankfurt, Hoffenheim, den SV Werder, Darmstadt 98 und den FC Augsburg ist noch alles drin, im Guten wie im Schlechten: der Klassenerhalt, die Relegation oder der direkte Abstieg.

Und auch die Hamburger sind sich nach der fünften Rückrunden-Niederlage im Klaren darüber, dass sie nach zwei Fastabstiegen hintereinander auch in dieser Saison wieder bangen müssen.

Der Vorsprung auf den Relegationsplatz ist auf vier Punkte geschmolzen. „Wir können uns noch nicht zurücklehnen und den Urlaub buchen“, hat HSV-Verteidiger Matthias Ostrzolek erkannt. Während das Rennen um die Meisterschaft längst zu Gunsten des FC Bayern entschieden ist, verspricht der Kampf um den Klassenerhalt noch Spannung bis zur letzten Sekunde.