KUNST

KunstBeate Schederschaut sich in Berlins Galerien um

Pareidolie lautet der Fachbegriff für ein Phänomen, das zahllosen Tumblr­blogs, Instagramaccounts und anderen Social-Media-Kanälen Futter liefert: Der angeborene menschliche Drang, in Dingen des Alltags Gesichtszüge erkennen zu wollen. Auch Marco Bruzzone ist diesem gefolgt. Seine iconhaften Emoji-Gesichter hat er jedoch nicht beim Betrachten von Steckdosen, Kartoffeln oder Häuserzeilen entdeckt. Vielmehr hat er sie aus dem Laminatmuster „Bacterio“, das Ettore Sottsass 1978 entwarf, herausgedröselt. Damals, Ende der 1970er, wegen seines billigen Industriematerials und unappetitlichen Motivs ein doppelter Affront gegen die glatte Konsumkultur, heute ein Klassiker des Antidesigns. In Bruzzones Ausstellung bei Gillmeier Rech gucken einem die Antlitze aus würmchenhaften Bakterienstrukturen aus Bilderrahmen entgegen. Eine der Arbeiten, als Einzige mit bunten LEDs beleuchtet, hängt hinter einer Wand verborgen. Man muss seinen Kopf durch einen der beiden dort angebrachten Toilettensitze strecken, um sie zu sehen. Keime muss man dabei jedoch nicht fürchten, die Sanitärartikel sind unbenutzt (bis 16. 4., Körnerstr. 17, Fr.–Sa., 13–18 Uhr und nach Vereinbarung).

Ein wenig versteckt ist auch der Projektraum Zwanzigquadratmeter von Eric Emery. Wer ihn besuchen will, muss vorher einen Termin ausmachen. Aktuell stellt dort der junge Schweizer Grégory Sugnaux aus. Seine drei skulpturalen Arbeiten, die so viel Raum einnehmen, dass man sich sofort fragt, wie er sie denn nur hierhin geschafft haben mag (durchs Fenster übrigens), sind aus Styropor. Su­gnaux hat sie zunächst mit dem Hammer bearbeitet und dann mit Aceton Formen herausgeschmolzen. Entstanden sind so halb zufällige kalkweiße Blöcke, die wie Vorformen klassischer Marmorskulpturen wirken (bis 25. 3., Petersburger Str. 73, Termine: info@zqmberlin.org).

„We are all in the gutter“, beginnt eines der bekanntesten Zitate aus Oscar Wildes „Lady Windermere’s Fan“. Sanya Kantarovsky hat daraus den Titel seiner Ausstellung bei Tanya Leighton entlehnt, im wortwörtlichen Sinne, denn: Wer in der Gosse liegt, sieht nur die Hälfte. Dieses Gefühl erschleicht sich auch beim Betrachten von Kantarovskys Malerei, die mit zahllosen Referenzen spielt, an die Filme Jacques Tatis ebenso erinnert, wie an Cartoons aus den 1920er Jahren, Kinderbuchillustrationen, Sowjetpropaganda und Neue Sachlichkeit. Ihr Plot erschließt sich nicht, den dramatischen Szenen auf den Gemälden fehlen Pointe und Moral. Kantarovsky löst nichts auf, erlöst nicht, in jeder angedeuteten Leichtigkeit schwingt Schwere mit (bis 16. 4., Kurfürstenstr. 156., Di.–Sa., 11–18 Uhr).