„Neue Sehgewohnheiten sind erforderlich“

Aufbau Pankow wächst, hat aber immer noch viel Platz, sagt Baustadtrat Jens-Holger Kirchner von den Grünen. Auch auf den Dächern können noch 3.300 Wohnungen entstehen. Dabei hat der Ausbau oben einiges mit der Parkplatzfrage unten zu tun

Man muss das auch mal als eine noch wenig erschlossene Ressource sehen: ein Blick auf Berlins Dächer Foto: Mike Schmidt/visum

INTERVIEW Uwe Rada

taz: Herr Kirchner, die Berliner Politik entdeckt die Dächer. Waren die bisher denn terra incognita?

Jens-Holger Kirchner: Nein. Aber bislang tröpfelte das Thema eher so daher. Wir haben in Pankow im Jahr 130 Dachgeschossausbauten, das ist jetzt nicht die Welt. Das Potenzial ist aber da.

Baustaatssekretär Engelbert Lütke Daldrup sagt, die Zahl der Dachgeschossausbauten soll in Berlin von 500 auf 1.000 verdoppelt werden. Wie viele Dächer könnten denn in Pankow noch ausgebaut werden?

Kurzfristig sind es 1.800. Im Vergleich dazu gibt es alleine in der Michelangelostraße ein Potenzial zum Neubau von 1.700 Wohnungen. Insgesamt sind es 22.000 Wohnungen, die innerhalb von zehn Jahren errichtet werden können.

Die Musik spielt also doch eher auf dem Boden als auf dem Dach.

Trotzdem ist es ein Thema. Wenn wir auch noch die Aufstockungen dazuzählen, die in den Q3A-Häusern möglich sind …

… den standardisierten Geschossbauten aus den fünfziger Jahren …

… dann kommen wir bis auf 3.300 Wohnungen insgesamt.

Neben den Bauten aus den fünfziger Jahren gibt es in Pankow sehr viele Siedlungen aus den zwanziger und dreißiger Jahren.

Davon stehen 80 Prozent unter Denkmalschutz. Da gibt es schöne Dächer, da könnte man prima was machen, aber geht leider nicht.

Soll der Denkmalschutz da ausgehebelt werden?

In die Häuser sind ja auch mal Zentralheizungen eingebaut worden. Ich bin da hin und her gerissen zwischen dem öffentlichen Interesse am Denkmalschutz und dem öffentlichen Interesse, neue Wohnungen zu bauen.

Würde der Denkmalschutz auch eine Dachbegrünung versagen, die unter anderem die Grünen im Abgeordnetenhaus fordern?

Die wollen den Gesamteindruck erhalten. Insgesamt stellen wir also fest: Da ist Potenzial. Aber der Dachgeschossausbau läuft bislang eher so nebenher.

Und zieht so einiges nach sich.

Ab sechs Geschossen müssen Fahrstühle eingebaut werden. Eventuell muss man Feuerwehranstellflächen nachweisen.

Das heißt?

Die Feuerwehr hat 2014 neue Richtlinien herausgegeben, weil sie neue Fahrzeuge gekauft hat. Um einen Brand zu löschen, brauchen die Fahrzeuge eine Breite von 5,50 Metern. Das ist in vielen Straßen vor allem im Prenzlauer Berg nicht möglich.

Weil die Autos quer zur Straße parken und nicht parallel.

Genau. Deshalb gibt es einen Riesenstreit zwischen den Straßenverkehrsbehörden und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt.

Bisher hat doch auch alles geklappt.

Bis in die vierte Etage kommt die Leiter, aber nicht bis in die fünfte, also ins Dachgeschoss. Deshalb bekommt der Eigentümer, der da ausbauen will, keine brandschutztechnische Genehmigung. Und ohne die kann er sich den Bauantrag an den Bezirk dann sparen.

De facto gibt es also in den engen Seitenstraßen keine Dachgeschossausbauten, solange das Problem nicht gelöst ist. Was wäre die Lösung?

Die Änderung der Parkordnung. Das musste bisher der Verkehrssenator per Anordnung machen. In Pankow ist das in der Chodowieckistraße und in der Jablonskistraße bereits passiert. An drei weiteren Grundstücken ebenfalls.

Da parken also alle Autos quer, nur vor einem Haus parken sie parallel.

Jens-Holger Kirchner

Foto: Archiv

Der 56-Jährige ist gelernter Tischler und Erzieher und für die Grünen Stadtrat für Stadtentwicklung in Pankow.

So ist es. Die zweite Möglichkeit wäre, die Gehwege so auszubauen, dass die Feuerwehr auf die Gehwege kommt.

In beiden Fällen gibt es weniger Parkplätze.

Da kennt der Berliner ja keinen Spaß. Das Problem ist: Eingriffe in den Straßenverkehr müssen immer verkehrlich begründet sein. Deshalb der Streit.

Warum können diese Eingriffe nicht feuerwehrlich begründet sein?

Weil der Eigentümer einen zweiten Rettungsweg auf dem Grundstück bauen kann.

Also eine Feuerleiter wie in New York?

Oder ein zweites Treppenhaus. Aber das verkleinert die Grundfläche und die Verwertbarkeit. Ich vermute deshalb mal, dass die Anzahl der Dachgeschoss­ausbauten nicht stark steigen wird.

In der dicht bebauten Gründerzeitstadt tragen die Dächer also nicht unbedingt in großen Teilen zur Linderung der Wohnungsnot bei.

Genau.

Nun hat ja Frau Kapek, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, gesagt, man könne auf den Dächern landeseigener Gebäude mit Holzbauten Platz für 100.000 Flüchtlinge schaffen. Mussten Sie sich damit schon mal beschäftigen?

Damit haben wir uns noch nie beschäftigt. Nichts gegen guten Holzbau, aber ich vermute mal, dass der Brandschutz da auch nicht erfreut ist, wenn da mit Holz gebaut wird.

Aber der Platz ist da, bei Ihnen hier am Dienstsitz in der Darßer Straße könnte man locker ein paar Geschosse drauf bauen.

Aber da müssen wir nicht aufs Dach, weil wir auch auf dem Boden Platz haben. Auch in den Gewerbegebieten, in den Wohngebieten.

Ist die Dachdebatte also eine Phantomdebatte?

Nein, die ist hochinteressant. Gerade bei den Gebäuden aus den fünfziger und sechziger Jahren gibt es wie gesagt das Potenzial. Da kann man sowohl nachverdichten als auch zwei oder drei Etagen draufsetzen. Da steckt Musike drin.

Was sagen denn die Statiker dazu? In den Fünfzigern wurde nicht immer so qualitätsvoll gebaut wie in den Zwanzigern und Dreißigern.

Im Einzelfall stimmt das. In manchen Häusern könnte man Geschosse draufsetzen. Man kann die Kräfte aber auch über Stahlträger ableiten. Das ist dann wie eine Kiste, die man obenrauf setzt. Kann sein, dass das auch neue Sehgewohnheiten erfordert

Pankow ist mit 384.367 Einwohnern der bevölkerungsreichste Berliner Bezirk. Und er wächst wie kein anderer. Bis 2030 soll sich laut Bevölkerungsprognose die Zahl der Pankower um 16 Prozent erhöhen.

Ein großes Neubauprojekt in Pankow ist die Elisabethaue mit 4.000 Wohnungen. Am Blankenburger Pflasterweg können perspektivisch 10.000 bis 12.000 neue Wohnungen entstehen. Auch im Pankower Zentrum sind auf dem ehemaligen Güterbahnhof neue Wohnungen geplant. Laut Investor Kurt Krieger sollen dort 1.000 Wohnungen gebaut werden.

Pankow ist nicht nur dynamisch, sondern auch teuer. Wer eine neue Wohnung sucht, muss im Schnitt 9,45 Euro pro Quadratmeter hinblättern. Dazu kommen noch Betriebskosten und Warmwasser. Der Berliner Schnitt beträgt 8,80 Euro.

Pankow ist schon lange kein junger Bezirk mehr. Während in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg der Anteil der 20- bis 30-Jährigen 20,2 und 19,3 Prozent beträgt, sind es in Pankow nur 13,4 Prozent. Hoch ist dagegen der Anteil der 30- bis 50-Jährigen und der Kinder bis 20 Jahre. Kollwitzplatz und das Klischee lassen grüßen. (wera)

Das ist dann aber, wie bei den Dachgeschossen, Wohnungsbau im eher teuren Segment. Und das bei Häusern, die vor allem den Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften gehören.

Es ist nicht das preiswerte Segment. Aber das ist nicht schlimm. Eine städtische Wohnungsbaugesellschaft muss Wohnungen nicht ausschließlich im unteren Preissegment anbieten. Wenn wir eine Mischung haben wollen, muss auch was für die Mischung gemacht werden.

Muss man die Mieter fragen, wenn man aufstockt?

Nein, aber es ist immer klug, mit Mietern vorher zu reden.

Pankow ist der am schnellsten wachsende Bezirk Berlins. Trotzdem gibt es, wie an der Elisabethaue, immer wieder Protest gegen neue Wohnsiedlungen. Zu Recht?

Die Stadt sollte von innen nach außen wachsen. Ich befürchte nur, das Etliches gleichzeitig entwickelt werden muss. Wir haben allein in Pankow 10 größere bis große Wohnungsbauvorhaben, da ist die Elisabethaue nur eins davon. Aber wenn die nicht kommen, frage ich mich, wie Berlin das hinkriegen will.

Die Elisabethaue ist mit 4.000 Wohnungen das größte Neubauprojekt in Pankow?

Nein, am Blankenburger Pflasterweg zwischen Heinersdorf, Malchow und Blankenburg könnten perspektivisch 10.000 bis 12.000 Wohnungen entstehen.

Die SPD lässt keine Gelegenheit aus, den Grünen dort, wo sie Verantwortung haben, zu unterstellen, sie seien Bremser und nicht in der Lage, das wachsende Berlin mitzugestalten. Sind Sie so ein Bremser?

Quatsch. Wir haben Lust an Stadtentwicklung, Lust an den Diskursen. Die Stadt wächst, sie wird größer und auch in den Außenbereichen dichter. Alle sitzen gerne in der Schönhauser Allee und trinken Kaffee. Und freuen sich des Lebens. Das alles war mal Feld, mit Verlaub. Und genauso wird es mal am Blankenburger Pflasterweg oder an der Elisabethaue sein. In der Abwägung sage ich eindeutig Ja zum Wohnungsbau und zu den draus resultierenden Veränderungen. Es kann nicht Kerngeschäft einer wachsenden Metropolregion sein, Landwirtschaft zu betreiben.