Zwei Weddinger Jungs

Vor einem halben Jahr starb Harald Juhnke in einem Pflegeheim. In Berlin erinnert nichts an den Entertainer – kein Platz, keine Straße. Jetzt hat ihm der Weddinger Achim Brunken ein Denkmal gesetzt. Warum? Weil „Harald einer von uns geblieben ist“

VON THOMAS JOERDENS

Im Laden von Achim Brunken strahlt von der Wand ein übergroßer, faltenfreier Harald Juhnke. Das schmeichelnde Gemälde zeigt den Schauspieler ohne jede Spur seines späteren Verfalls. „So gefiel er mir am besten“, meint Brunken, der es gemalt hat. Nach Juhnkes Tod am 1. April dieses Jahres suchte er im Internet ein Porträt. Er vergrößerte die Aufnahme und hängte sie erst mal draußen an die Altbaufassade seines „Soldiner-Kiez-Treffs“ – mit Trauerflor und Reisewünschen fürs Jenseits: „Mach’s gut, Weddinger Junge!“ Anschließend diente das Foto als Vorlage für das Wandgemälde.

Schön und gut. Aber warum lächelt ausgerechnet einer der prominentesten Säufer Deutschlands in einem Weddinger Treffpunkt für trockene Alkoholiker? Brunken hockt unter seinem Gemälde auf der Sofakante, vor sich eine Tasse Kaffee. Ein Typ, der hier im Kiez nicht auffällt: Schnurrbart im verlebten Gesicht, das weiße Resthaar über die Glatze gekämmt. Über den Bauch spannt ein gelbes T-Shirt, um die Beine schlabbert eine schwarze Hose aus Ballonseide, die Füße stecken in braunen Slippern. Hinterm Ohr klemmt eine Selbstgedrehte, die er ansteckt, bevor er seine Geschichte erzählt. Harald Juhnke spielt darin auch eine Rolle. Eine kleine zwar, aber im Leben des 65-Jährigen ist er immer wieder aufgetaucht und hat einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen.

Kennen gelernt hat er den Harald als Nachbarsjungen, sagt Brunken. Beide wachsen im Soldiner Kiez auf, beide gehen auf dieselbe Schule. Nachmittags stromern sie eine Zeit lang mit anderen Kindern durch die Trümmer. Richtig nahe gekommen sind sie sich dabei wohl nicht – Juhnke ist immerhin elf Jahre älter. Auch sonst nehmen sie recht unterschiedliche Wege. Während Harald die Oberschule besucht und an seiner Schauspielerlaufbahn bastelt, verlässt Achim die Volksschule nach acht Jahren. Zur Kunst zieht es ihn auch: „Für die Schule war ich zu doof, aber im Malen hatte ich immer ’ne Eins“, charakterisiert sich Brunken auf seine direkte Art. Anfang der 50er-Jahre macht der Sohn eines Musikers eine Lehre als Dekorationsmaler im Kino um die Ecke.

Die Künstlerkarrieren von Harald und Achim entwickeln sich in entgegengesetzte Richtungen. Juhnke wird Entertainer, Publikumsliebling, Star. Brunken versucht sich als Geldfälscher, landet im Knast und lebt anschließend jahrelang als Trinker auf der Straße. Heute erzählt er darüber ohne Bitterkeit und Selbstmitleid, mit einem Achselzucken: „Is’ halt so gewesen. Kann man nichts machen.“ Achim Brunken hat vieles durchgemacht. Und eins gelernt: Wer Mist baut, muss die Konsequenzen tragen.

So ist es auch, als er nicht mehr von der Flasche loskommt. Zu dieser Zeit, Anfang der 70er-Jahre, kreuzen sich die Wege der Weddinger Jungs erneut – ohne dass sie sich begegnen. Aber beide stolpern als Alkoholiker durchs Leben, das verbindet sie aus Brunkens Sicht. „Nach seinen Abstürzen verschwand der Harald für ein paar Tage in einem Schweizer Sanatorium. Da wurde er wieder aufgepäppelt und dann machte der weiter.“ So stellt er sich Juhnkes Alki-Karriere vor. Dass der Showmann seine Sucht nie richtig in den Griff bekam, überrascht ihn kaum. „Wenn du nicht unten warst, wirst du nie trocken.“

Wieder so ein schonungsloser Merksatz aus dem Erfahrungsschatz von Achim Brunken. Er hat ziemlich lange ganz weit unten gelebt. Erst als Obdachloser am Bahnhof Zoo. Mehrmals versucht er da den Neustart – und scheitert. Zweimal wandert er in die DDR aus und findet auch sofort einen Job als Kulissenmaler. Aber hinter den Kulissen von Film und Theater wird viel gezecht. Achim ist stets dabei. Wenn die anderen längst genug haben, säuft er weiter. Brunken verliert seine Stellen und wird von den DDR-Behörden nach Westberlin abgeschoben.

Er scheint am Ende. Haltlos treibt Achim Brunken durch seine bedröhnte Existenz und pendelt zwischen Entgiftungsstation und Ku’damm. Als er mal wieder auf dem Gehweg hockt und „die Abbas und die Stones“ auf den Boden malt, kommt Harald Juhnke dahergeschlendert. „Den haste immer schon aus zwei Kilometer Entfernung erkannt, an seinem schlaksigen Gang und dem Hut“, erinnert sich Brunken. Der Pflastermaler spricht den großen Juhnke an: „Kennste mir noch? Ick bin’s, olle Atze.“ Harald Juhnke erinnert sich. Ab jetzt treffen sie sich manchmal, reden über alte Zeiten oder das Alkoholproblem, das sie miteinander teilen. Hin und wieder steckt Harald Achim einen 50-Mark-Schein zu, den dieser versäuft.

Dann schafft es Brunken doch noch – im Gegensatz zu Juhnke. „Seit der Geburt meiner Tochter hab ich keinen Tropfen mehr getrunken.“ Das ist jetzt elf Jahre her. Achim Brunken lernte Anfang der 90er-Jahre seine jetzige Frau kennen. Edeltraud und die kleine Sara waren seine Rettung.

Nein, als abschreckendes Beispiel für Alkoholiker taugt Harald Juhnke bestimmt nicht. Und für seine Schauspielerei hat Achim Brunken seinen alten Kumpel auch nicht bewundert. „Aber menschlich war der einfach fantastisch“, sagt er. „Der ist einer von uns geblieben.“ Wenn Harald Juhnke das Grab seiner Eltern auf dem nahen Friedhof besuchte, unterhielt er sich auch mit den Leuten auf der Straße oder brachte Kaffeepakete im Kieztreff vorbei. „‚Hier, damit ihr nicht vertrocknet‘, hat er dann gesagt.“ Brunken, eigentlich ein spröder Erzähler, wirkt jetzt sogar ein bisschen gerührt. Diese Gesten Junkes, sein einnehmendes Wesen und das Erlebnis auf dem Ku’damm-Trottoir haben Achim Brunken veranlasst, das Schauspielergesicht an die Wand zu malen.

Und damit nicht genug: Brunken hatte noch mehr Ideen, um den Star im Soldiner Kiez zu verewigen. Er sammelte 1.000 Unterschriften für einen „Harald-Juhnke-Platz“. Daraus wurde nichts, weil Namensgeber für Berliner Straßen und Plätze mindestens fünf Jahre tot sein müssen. Außerdem werden im Wedding bei Neubenennungen nur noch Frauen berücksichtigt. „Dann eben ein Denkmal“, dachte sich Brunken. Er fand die Künstlerin Eike Stielow in Rheinland-Pfalz, die Harald Juhnkes Konterfei unter Verzicht auf Honorar in einen Findling gemeißelt hat. An diesem Sonntag soll der 1,60 mal 2,20 Meter große, über zwei Tonnen schwere Brocken enthüllt werden. Auf einer Parkpromenade wird er stehen, Ecke Zechliner und Fordoner Straße – auf halbem Weg zwischen Wohnblock und Grundschule von Harald und Achim.

Soldiner-Kiez-Treff, Koloniestr. 120, 13359 Berlin, täglich von 9 bis 21 Uhr geöffnet, www.soldiner-treff.de.tc