Kolumne vonSimone Schmollack
: Und plötzlich war ich Kjeld

Ich bin 1,67 Meter groß, momentan wiege ich 57 Kilo. Mit anderen Worten: Ich bin schlank. Dafür tue ich nicht viel, bisschen joggen, gesund essen. Diäten? Halte ich gar nicht durch.

Das war mal anders. Es gab eine Zeit in meinem Leben, da wurde ich Kjeld genannt. Kjeld, das ist der Dicke aus der Olsenbande, einem Gaunertrio in der gleichnamigen TV-Kultserie aus Dänemark.

Mein Dasein als Kjeld währte nur kurze Zeit. Aber die reichte, um mein Selbstbild komplett in die Tonne zu treten. Denn aus einer Tänzerin, die ich damals war, war eine Matrone geworden. Innerhalb weniger Wochen.

Ich war 18, hatte meinen ersten festen Freund – und Sex. Da musste die Pille her, ganz klar. Die nahmen die Ostfrauen in den achtziger Jahren, ohne zu murren, ich also auch. Aber die Pille schwemmte mich auf, bald wog ich über 70 Kilo. Ich beschwerte mich bei meiner Gynäkologin, die aber verteidigte „das sicherste Verhütungsmittel“, das ich auf keinen Fall absetzen sollte. Sie wälzte die Verantwortung auf mich ab: „Zügeln Sie Ihren Appetit.“

Ich aß aber gar nicht mehr als sonst, im Gegenteil, ich hungerte mich halb zu Tode: Knäckebrot mit Senf, Gurken- und Safttage. Zwei Mal in der Woche Tanztraining, Gymnastik, Schwimmen. Ich wollte weiter tanzen, unbedingt. Aber ich nahm nicht ab. Mein Körper war mein Kapital, und das hatte mir die Pille geraubt. Eine Dicke auf der Bühne? Geht nicht. Also gab ich den Tanz auf, der jahrelang meinen Alltag bestimmte. Das war für mich damals so dramatisch, als würde man heute einem Nerd den Computer klauen.

Wenn ich vor dem Spiegel stand und meinen aufgedunsenen Körper sah, ekelte ich mich vor mir selber. Ich sah eine Frau, die nichts mit der zu tun hatte, die ich kannte, die in meinem Kopf war. Ich ging nur noch ungern aus. Ich trug weite Pullover und zu große Jacketts, ich hasste Schwimmbäder und den Sommer. Ich wollte mich niemandem nackt zeigen. Mein Ich verkeilte sich in einem inneren Korsett, das mich introvertiert werden ließ.

Der Freund war bald weg, der Sex damit auch. Wutentbrannt feuerte ich die Pille in die Ecke. Und plötzlich nahm ich wieder ab, genauso schnell, wie ich die Jahre zuvor durch die Pille zugenommen hatte. Mein Körper veränderte sich erneut rasant.

Darüber hätte ich froh sein können, aber ich war verwirrt. Gerade hatte ich mich an mein Kjeld-Gewicht gewöhnt und einen Beruf gefunden, in dem Körpermaße egal sind, da verließ es mich wieder. Was soll das? Dünn, dick, dünn – geht das jetzt immer so weiter?

Mein inneres Korsett schnürte sich nicht so schnell auf, wie es sich zugeschnürt hatte. Es saß fest. Bis ich beschloss, dass es mir egal ist, was die Waage zeigt. Damit lebe ich gut, mein Gewicht hat sich seitdem kaum geändert. Und tanzen, das kann man auch, wenn man dicker ist.

Simone Schmollackist taz-Redakteurin im Inland