Der Teufel sch… auf den größten Haufen

Buch Diejenigen, die schon viel Geld haben, werden durch das Steuer- und Umverteilungssystem bevorzugt, beklagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, in einer Wirtschaftsanalyse

Soziale Schere in Fratzschers Geste Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Aus Berlin Hannes Koch

Große soziale Ungleichheit schädigt die Gesellschaft. Sie löst individuelle Ängste aus, hindert Millionen Menschen daran, ihre Talente zu entfalten und kostet Wirtschaftswachstum. So zumindest sieht es Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

„Deutschland ist heute eines der ungleichsten Länder in der industrialisierten Welt“, sagte Marcel Fratzscher am Montag bei der Vorstellung seines Buches „Verteilungskampf“.

Fratzschers Intervention passt zu den Ergebnissen der drei Landtagswahlen vom Wochenende, bei denen die AfD Erfolge verbuchte. Laut einer Umfrage des Instituts infratest dimap gaben die Wähler der Rechtspartei als zweitwichtigstes Thema neben der Ablehnung von Einwanderung die „soziale Ungerechtigkeit“ an.

Die Entwicklung hinter dieser Wahrnehmung beschrieb Fratzscher so: „Die deutsche Marktwirtschaft zeigt ihr wahres Gesicht in einer stark zunehmenden Ungleichheit.“ Die Einkommen und Vermögen armer und reicher Menschen würden auseinanderdriften.

Beispiel Einkommen: Die Reallöhne der Beschäftigten waren 2014 so hoch wie 1992. Wegen der Inflation habe „rund die Hälfte der Arbeitnehmer in den vergangenen 15 Jahren Kaufkraft verloren“, so Fratzscher. Die verfügbaren Haushaltseinkommen der wohlhabendsten 10 Prozent der Bevölkerung stiegen dagegen von 2000 bis 2012 um 16 Prozent.

Beispiel Vermögen: Die ärmsten 20 Prozent der Deutschen haben kein Vermögen, sondern Schulden. Eine weitere große Gruppe von etwa 20 Prozent hat kaum etwas auf dem Konto und auch sonst keinen wertvollen Besitz. Die 10 Prozent Reichsten besitzen dagegen durchschnittlich 1,2 Millionen Euro. Auch hier nimmt die soziale Spaltung zu.

Als Ursachen nannte der Ökonom weltwirtschaftliche Entwicklungen wie die Digitalisierung. Einfache Jobs, für die man keine hohe Ausbildung braucht, fallen weg. Dadurch büßen häufig Leute ihr Arbeitseinkommen ein, die ohnehin wenig Geld verdient haben. Hinzu komme eine mitunter fragwürdige Politik: Das deutsche Sozial- und Steuersystem verteile zwar viel Geld um, sei dabei aber oft nicht effizient. So profitieren von der staatlich geförderten Riesterrente eher Leute mit guten als mit niedrigen Einkommen.

All das rächt sich: Millionen Menschen hätten keine Mittel, um in ihren eigenen Aufstieg und die Bildung ihrer Kinder zu investieren, erklärte der Wissenschaftler. Weil viele Leute ihre Talente nicht entwickeln, bleibe Deutschland als Ganzes unter seinen Möglichkeit. Zwischen 1990 und 2010 kostete die wachsende Ungleichheit „sechs Prozentpunkte Wirtschaftswachstum“.

Als Gegenmittel schlug Fratzscher eine „smarte Umverteilung“ vor. Die Steuermilliarden müssten eher dort eingesetzt werden, wo sie den größten Vorteil zugunsten benachteiligter Bevölkerungsgruppen entfalteten. Seit Jahren plädiert das DIW für höhere staatliche Investitionen im Bildungsbereich. Fratzscher empfahl auch, bestimmte Steuergesetze zu überdenken. Die gegenwärtigen Regeln zur Erbschaftssteuer würden Firmen­erben über Gebühr begünstigen.