LeserInnenbriefe
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Nicht weltoffen und nachhaltig

betr.: „Plädoyer für Schwarz-Grün“, taz vom 10. 3. 16

Leider stimmt Max Thomas Mehrs Argumentation in einem wichtigen Punkt nicht. Er schreibt: „Noch nie ging es in einer deutschen Regierung so freiheitlich, pluralistisch und europäisch, so weltoffen, nachhaltig und ökologisch zu wie unter Merkel.“

Merkel redet gern europäisch, aber mit ihr als Kanzlerin hat die Bundesregierung stärker als unter allen ihren Vorgängern nationale Lösungen für europäische Probleme gesucht und gefunden. Sie hat dafür gesorgt, dass es in der Eurokrise keine solidarische Politik gab, sondern dass jedes Mitgliedsland der Währungsunion für seine eigenen Bank- und Staatspleiten geradestehen muss. Dass diese Pleiten ohne die unverantwortliche Darlehensvergabe deutscher Banken nicht zustande gekommen wären, spielte keine Rolle. Die deutschen Steuerzahler sollten geschont werden und die Bürger anderer Ländern für das Fehlverhalten der Kreditwirtschaft bürgen.

Es ist auch weder weltoffen noch pluralistisch, dass in der Bundesregierung Zweifel an Sinn und Erfolg der „schwarzen Null“ tabu sind und ihre wichtigsten Akteure entsprechende Kritik von internationalen Ökonomen immer als politisch motiviert und ideologisch verblendet abtun. Aus deutscher Kabinettssicht war die Eurorettung in Griechenland, Spanien, Portugal und Irland erfolgreich. Dass die Bürger dieser Länder die Dinge anders sehen, hat für die deutsche Politik bislang keinerlei Folgen. Die Sparpolitik darf nicht in Frage gestellt werden.

Es ist in Deutschland jetzt beliebt, darüber zu klagen,dass es in Europa in der Flüchtlingskrise keine Solidarität gibt. Die Re-Nationalisierung der europäischen Politik haben aber Merkel und ihre Finanzminister – vor Schäuble war das Peer Steinbrück – in der Eurokrise besonders vehement betrieben. Es war auch nicht sonderlich weltoffen und nachhaltig, erst im Sommer 2015 zu merken, dass Menschen massenhaft nach Europa wollen und dass das Dublin-Abkommen nicht funktioniert. Auf EU-Gipfeln vereinbarte Regeln dann spontan und unilateral außer Kraft zu setzen, war indessen nicht sonderlich europäisch. Wer auf Dauer angelegt Europapolitik machen will, muss Merkel kritisieren, anstatt sich ihr anzubiedern.

ANDREAS BÖHMER, Frankfurt am Main

Billige Polemik

betr.: Plädoyer für Schwarz-Grün, taz vom 10. 3. 16

Mehr nimmt wahr, dass Seehofers CSU gleichzeitig als Regierungs- und Oppositionspartei fungiert, unterstellt aber eine CDU, die in der Flüchtlingspolitik problem- und widerspruchslos der Kanzlerin folgt. Über Jahrzehnte hinweg hat die Union damit Erfolg gehabt, fremdenfeindliche, wenn nicht gar faschistoide Teile der Gesellschaft nicht vor den Kopf zu stoßen, damit sie in Wahlen bei der Unions-Stange bleiben. Merkel hat als erste Führung der Union mit dieser Haltung gebrochen und muss nun die Rückschläge ihrer Partei im Kampf mit der ungewohnten rechten Konkurrenz politisch verantworten. Und im Übrigen hat – gerade auch deswegen – Simone Peters Recht, wenn sie Merkel eine Kurswende in der Asylpolitik vorwirft. Merkel kann ihre zeitweiligen humanitären Impulse auch wegen innerparteilichen Widerstands offenbar nicht länger durchhalten.

Offenbar muss Mehr, um Zweifel an seiner Bündniswerbung gar nicht erst aufkommen zu lassen, die Linke schlechtreden, also die – zusammen mit der SPD – andere Option. Sicher gibt es in der Linken spinnerte Randfiguren, die in dem ungekrönten Selbstherrscher Russlands so etwas wie einen Nachlassverwalter des verblichenen „Vaterlands aller Werktätigen“ sehen. Die große Mehrheit dieser Partei weiß längst, dass dem Moskauer Regenten nichts ferner liegt als linke Ideale, dass vielmehr im Kernland der alten Sowjetunion längst ein ungebändigter Raubtierkapitalismus die Szene beherrscht. Besonders peinlich wirkt Mehrs Unterstellung, die gesamte Linke hofiere Putin, wenn er den, noch dazu maßgeblich von Merkel vorbereiteten, Kotau EU-Europas vor dem türkischen Diktator Erdoğan völlig ignoriert.

An die billige Polemik gegen „Gutmenschen“ erinnert Mehrs Unterstellung, die eine (also wohl die linke) Seite in der Debatte um die Flüchtlingsmigration wolle, „dass wir alle Geschlagenen dieser Welt mit den Wohltaten des Sozialstaats versorgen“. Wer war das mal noch, der immer wieder sagte: „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt?“

Wenn Mehr schon beim Unterstellen ist, unterstellt er auch den Flüchtlingen, dass viele von ihnen auch ohne besondere Bedrängnis die gefahrvolle Flucht auf sich nehmen und wir, wenn wir keine Grenzen setzen, noch mit Millionenheeren rechnen müssen. Was trennt ihn dann eigentlich noch von Seehofer?

Last, but not least: Die CDU macht sich für die demokratiefeindlichen Vertragskonzepte Ceta und TTIP stark. Kein Problem für Grüne, die diese Konzepte bislang strikt ablehnen?

JÜRGEN KASISKE, Hamburg

Menschlichkeit einklagen

betr.: „Weiterbauen an der Festung Europa“, taz vom 11. 3. 16

Bundesinnenminister Thomas „die Misere“ bejubelt die Grenzschließungen an der griechisch-mazedonischen Grenze. Wie lange darf dieser Mensch noch seine unsäglichen Ausrutscher hinausposaunen? Wann endlich hört es auf, dass sich die Regierung von der AfD vor sich hertreiben lässt? Wie sehr müssen wir dem Künstler Ai Weiwei dankbar sein, dass er Menschlichkeit „einklagt“. FRIEDRICH MÜLLER, München