Ägypten

Allein im Februar wurden laut Kairoer Zentrum für Folteropfer 111 Menschen durch den Sicherheitsapparat des Landes getötet

In fast allmächtiger Willkür

Polzeigewalt Der Fall eines ermordeten italienischen Studenten machte Schlagzeilen. Doch nur selten wird der Sicherheitsapparat für seine brutalen Taten zur Rechenschaft gezogen. Nun regt sich erstmals Widerstand

Weil ein Polizist auf offener Straße einen Mann erschossen hatte, sichern Polizisten die Kairoer Sicherheitszentrale Mitte Februar vor Demonstranten Foto: Mohamed Abd El Ghany/reuters

Aus Kairo Karim El-Gawhary

Ägyptische Polizeiwillkür und Brutalität gehörten vor fünf Jahren zu den Auslösern der Revolte gegen das Regimes Mubarak. Wenig hat sich seitdem im Verhalten des Sicherheitsapparats geändert. Weiterhin werden Menschen im Nilland gefoltert, verschwinden spurlos oder sterben in Haft, während selbst niedrige Polizeiränge auf der Straße in nahezu allmächtiger Willkür agieren.

Das Kairoer Nadeem-Zentrum für Folteropfer hat dieses Verhalten des Sicherheitsapparates für den Monat Februar dokumentiert. Danach wurden innerhalb von vier Wochen 111 Menschen getötet, darunter 65 durch außergerichtliche gezielte Tötungen, acht bei Streitereien mit rangniedrigen Polizisten. Ein Opfer starb infolge von Folter, ein weiteres wurde von einem Gebäude geworfen. Acht Ägypter starben in Haft, weil sie nicht medizinisch versorgt wurden. Insgesamt sind in diesem Monat von der Menschenrechtsorganisation 88 Folterfälle dokumentiert.

In dem Bericht ist auch von 155 dokumentierten Fällen die Rede, in denen Menschen verschwunden sind, nachdem sie vom Sicherheitsapparat verschleppt wurden. Ein Teil ist später in Gefängnissen aufgetaucht, andere gelten weiter als vermisst. Von wieder anderen wurde später die Leiche gefunden. Die meisten dieser Vorwürfe werden vom Innenministerium abgestritten.

Nun versuchen die Behörden, das Nadeem-Zentrum zum Schweigen zu bringen. Das Gesundheitsministerium hat dem Zentrum, das sich auch psychologisch seit 1993 um die Rehabilitation von Folteropfern kümmert, die Lizenz entzogen. Der Fall der Schließung liegt derzeit vor Gericht. „Der einzige Weg, Berichte über Folter in Ägypten zu stoppen: Der Staat muss endlich aufhören, Menschen zu foltern“, sagte die Chefin des Zentrums dazu.

„Um Berichte über Folter in Ägypten zu stoppen, muss der Staat endlich aufhören, Menschen zu foltern“

Die Chefin des Kairoer Zentrums für Folteropfer
Schwere Folterspuren

Der Fall eines verschwundenen und später tot aufgefundenen Opfers, der auch international für Furore gesorgt hat, ist der des italienischen Cambridge-Studenten Giulio Regeni. Der Doktorand, der in Ägypten über unabhängige Gewerkschaften geforscht hatte, war im Januar verschwunden. Seine Leiche war neun Tage später in einem Straßengraben am Stadtrand von Kairo gefunden worden und wies schwere Folterspuren wie Schnittwunden und Brandspuren auf. Alle Finger- und Fußnägel waren herausgezogen. Er sei bis zu sieben Tage lang gefoltert worden, bevor er starb, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen nicht namentlich genannten Mitarbeiter der ägyptischen Gerichtsmedizin.

Von offizieller ägyptischer Seite wird das ebenso abgestritten wie die nicht enden wollenden Spekulationen, dass einer der ägyptischen Sicherheitsapparate hinter dem Mord steckt. Ein italienisches Untersuchungsteam hatte vor wenigen Tagen gedroht, wieder aus Kairo abzureisen, weil die ägyptischen Untersuchungsbehörden nicht kooperierten. Daraufhin wurden den italienischen Behörden endlich Autopsiebericht, Zeugenaussagen und die Daten von Regenis Mobiltelefon übergeben.

Derweil machte ein Fall von Polizeiwillkür in Ägypten Schlagzeilen, der zu einem Machtkampf zwischen dem Innenministerium und dem ägyptischen Ärzteverband geführt hat. Mindestens 4.000 – andere Quellen sprechen sogar von 10.000 Ärzten – waren im Februar aus dem ganzen Land zu einer außerordentlichen Generalversammlung des Verbandes in Kairos Innenstadt zusammengekommen, um Gerechtigkeit für zwei ihrer Kollegen einzufordern. Es war die größte politische Zusammenkunft in Ägypten seit der Einführung eines De-facto-Demonstrationsverbots, nachdem das Militär den ehemaligen Präsidenten und Muslimbruder Mohammed Mursi 2013 aus dem Amt entfernt hatte.

Der Hintergrund: Im Januar waren zwei Ärzte in Kairo von einer Gruppe rangniedriger Polizisten zusammengeschlagen worden – mitten im Matariya-Krankenhaus. Einer der Polizisten, der eine leichte Verletzung hatte, war mit seiner Behandlung unzufrieden und rief ein halbes Dutzend seiner Kollegen, die dann auf die zwei Ärzte einprügelten. Später wurden die beiden Ärzte auf die Polizeiwache gebracht. „Die Polizisten haben auf uns eingeschrien, während sie auch auf dem Weg auf uns einschlugen“, erinnert sich Dr. Momen Abdel Azim, einer der beiden Ärzte, im Gespräch mit der taz. “‚Ihr seid Hunde und wertlos‘, haben sie geschrien. ‚Wir werden euch beibringen, euch richtig zu verhalten. Wenn wir wollen, endet ihr im Gefängnis.‚„

„Ich bin der Arzt – wer behandelt meine Wunde der Würde?“ F: Amr Nabil/ap

Später wurden die beiden Ärzte freigelassen. Nachdem der Krankenhausdirektor darauf bestand, dass die Ärzte Anzeige erstatten, wurden sie bei der Staatsanwaltschaft mit einer Gegenanzeige der Polizisten konfrontiert, dass die Ärzte selbst sie tätlich angegriffen hätten. Daraufhin sollten die Ärzte ausgerechnet in der Wache inhaftiert werden, aus der die Täter stammten. Die Matariya-Polizeiwache ist unter ägyptischen Menschenrechtsorganisationen als „Schlachthaus“ berüchtigt. Mindestens 14 Fälle von Tod durch Folter in Haft wurden dort von der Menschenrechtsorganisation EIPR dokumentiert. Aus Angst zogen die Ärzte ihre Anzeige zurück.

Doch das brachte erst recht den Ärzteverband auf den Plan, der seitdem in Krankenhäusern regelmäßig Protestaktionen organisiert. „Wir fordern, dass das Gesetz angewendet wird und die Polizisten zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt Sanaa Fuad, die Chefin des Kairoer Zweigs des Ärzteverbandes. „In dieser Auseinandersetzung geht es letztlich um die Würde der Ärzte“, sagt sie.

Die Regierung habe diese Situation zu einem Machtkampf zwischen Polizei und Ärzten eskalieren lassen. „Das Problem ist, dass diejenigen, die die Waffen haben, die stärkeren sind“, meint sie frustriert – wenngleich der Protest der Ärzte das ganze Land angespornt habe, sich nicht alles gefallen zu lassen. Sie vergleicht die Lage sogar mit dem Jahr 2010, wenige Monate bevor der Aufstand gegen Mubarak losging. „Auch damals hatten die Menschen langsam ihre Angst verloren“, sagt sie.

Das Europa-Parlament ging mit Ägypten am Donnerstag streng ins Gericht.Es rief die Regierung im Nilland dazu auf, Menschen sofort und ohne Bedingungen freizulassen, die ungerechtfertigt in Haft sitzen oder nur ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung und friedlicher Versammlung ausgeübt haben.

Das Parlament in Straßburg widmete sich besonders dem Fall des in Kairo verschwundenen und später tot und mit schweren Foltermalen aufgefundenen italienischen Studenten Giulio Regeni und forderte von den ägyptischen Behörden eine vollständige Aufklärung des Falls.

Die spanische EU-Abgeordnete und Vorsitzende des Unterausschusses für Menschenrechte, Elena Valenciano, sagte: „Das Parlament hat in den vergangenen Monaten verschiedene Dringlichkeitsentschließungen zur Lage in Ägypten verabschiedet. Diese zeigen die ernsthaften Bedenken des EU-Parlaments,die in den Beziehungen zwischen der EU und Ägypten auch auf höchster Ebene berücksichtigt werden sollten.“ Der Sprecher des ägyptischen Parlaments, Ali Abdel-Al, kritisierte die Resolution des EU-Parlaments, die „keinerlei Respekt für die Souveränität Ägyptens“ zeige. (gaw)

Alles gefallen lassen wollten sich auch die Einwohner des Darb-al-Ahmar-Viertels in Kairo nicht. „Du dreckige Regierung, ihr Söhne des Drecks“, skandierte eine wütende Menge, die in der Nacht zum 28. Februar durch das Viertel zog, „hier sind die Polizisten die Gangster.“ Einer der dortigen Einwohner, der Fahrer Mohammed Darbaka, war zuvor von einem Polizisten vor Zeugen auf offener Straße praktisch exekutiert worden. Er hatte auf einem Kleinlastwagen private Dinge des Polizisten transportiert. Bei einem anschließenden Streit über die Bezahlung zog der Polizist seine Waffe und schoss dem Fahrer in den Kopf.

Zunächst hatte die Polizei versucht, den Fall zu vertuschen, und sprach von einem Unfall. Doch es gab zu viele Augenzeugen. Am Ende übte sich der Innenminister Magdy Abdel in Schadensbegrenzung und traf sich mit dem Vater des Opfers, um ihm vor laufender Kamera medienwirksam als eine Geste der Entschuldigung auf den Kopf zu küssen. In diesem Fall ist der Polizist in Haft.

Doch zumindest der von der Polizei verprügelte Arzt hat wenig Vertrauen in Ägyptens Justizsystem. Bisher wurde keiner der Polizisten verhaftet, die ihn verprügelt hatten. „Aber selbst wenn, würde das nur geschehen, um die Lage zu beruhigen“, glaubt er. Die Polizisten wären dann ein paar Monate in Haft, während eine Untersuchung im Sande verlaufe, um dann wieder auf freien Fuß zu kommen. Und dann, ist sich Abdel Aziz sicher, „werden sie jene Ärzte heimsuchen, die ihnen den Ärger bereitet haben“.